In einem Gefängnis nehmen vier Strafgefangene an einem Verhaltensexperiment teil. Als Belohnung winkt ein Straferlass. Trainerin Lu konfrontiert sie mit aggressiven Hunden.
TV-Premiere. Das Feelbad-Movie ist kein realistischer Einblick in das Gefängnisleben, sondern eine extrem düstere und stilisierte Versuchsanordnung, die keinen Unterschied zwischen Menschen und Tieren macht.
Bevor Tillie Walden „Auf einem Sonnenstrahl“ durch das Weltall flog, erzählte sie in „Pirouetten“ von ihrer damals nur wenige Tage zurückliegenden Jugend. Die äußerst produktive Walden wurde 1996 geboren. Nach der fünften Klasse zogen ihre Eltern mit ihr von New Jersey nach Austin, Texas. Auch dort trainiert sie weiter Eiskunstlauf und nimmt weiter an Wettbewerben im Einzel- und Synchronlauf teil.
Walden erzählt von der Tortur des Trainings auf dem Eis, den Schwierigkeiten, neue Freundinnen zu finden, der Erkenntnis, dass sie zwar gerne Eiskunstläuferin ist, aber nicht gut genug für die Spitze und wie sie ihre Sexualität entdeckt. Dabei entdeckt sie, dass sie Frauen liebt.
Als Siebzehnjährige hört sie, wie sie schon im ersten Satz von „Pirouetten“ verrät, mit dem Eislaufen auf. Kurz darauf beendet sie ihre Schule und kann auf ein College gehen. Nur welches? Und was soll sie studieren?
„Pirouetten“ beschäftigt sich mit den zwölf Jahre, in denen Tillie Walden Eisläuferin war, in Austin die Schule besuchte und erwachsen wurde, mit all den Selbstzweifeln, positiven und negativen Erfahrungen, die die Pubertät begleiten. Sie fasst dabei ihr bisheriges Leben und wichtige Erlebnisse äußerst konzentriert zusammen. Eine plakative Botschaft oder ein alles beherrschendes Thema hat „Pirouetten“ nicht. So steht das Eiskunstlaufen als wichtiger Teil ihres Lebens nicht unbedingt im Mittelpunkt des Buches. Die Entdeckung ihrer Homosexualität und wie sie damit in Texas (!) umgeht, ist nur ein Nebenthema; fast schon ein Nicht-Thema. Und das ist gut so.
Ihre schnell gezeichneten Panels erinnern an sich auf das wesentliche konzentrierende Cartoons. Sie heben die für die Geschichte wichtige Dinge hervor. Die Hintergründe bleiben oft abstrakt oder werden, weil sie nicht wichtig sind, ganz weggelassen.
„Pirouetten“ erhielt 2018 den Eisner Award in der Kategorie Best Reality-Based Work.
Porträt einer jungen Frau in Flammen (Portrait de la jeune fille en feu, Frankreich 2019)
Regie: Céline Sciamma
Drehbuch: Céline Sciamma
1770 soll die Malerin Marianne die junge Héloise porträtieren. Es gibt nur ein Problem: Héloise will nicht gemalt werden. Und sie möchte den reichen, ihr unbekannten Italiener, mit dem ihre Mutter sie verkuppeln will und für den das Porträt sein soll, nicht heiraten.
TV-Premiere. Dialogarmes, sehr langsam und minimalistisch erzähltes Drama einer lesbischen Liebe und der damaligen gesellschaftlichen Konventionen (vulgo Machtverhältnisse), die Frauen in ein bestimmtes Leben pressten.
Über seine Biographie und damit auch über sein Leben schrieb ich:
Wenige Tage vor seinem 85. Geburtstag am 9. April erschien bei Heyne die deutsche Übersetzung von ‚Bebel‘ Jean-Paul Belmondos Autobiographie „Meine tausend Leben“.
Auf etwas über dreihundert Seiten lässt der 1933 in dem Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine geborene Schauspieler sein Leben Revue passieren. Vor seinem Durchbruch 1960 als Hauptdarsteller in Jean-Luc Godards Klassiker „Außer Atem“ (darüber erzählt Belmondo ab Seite 155) arbeitete er vor allem am Theater. Danach, in den Sechzigern spielte er in etlichen künstlerisch wertvollen Filmen und Klassikern, wie „Eva und der Priester“, „Der Teufel mit der weißen Weste“, „Elf Uhr nachts“, „Der Dieb von Paris“ und „Das Geheimnis der falschen Braut“ mit.
In den Siebzigern (so ab Seite 262) verlegte er sich dann, aus finanzieller Sicht, sehr erfolgreich auf Actionfilme, wie „Angst über der Stadt“ und Komödien, wie „Ein irrer Typ“, in denen er seine Stunts selbst ausführte. Die Kritiker waren von seinen Filmen nicht mehr so wahnsinnig begeistert und Belmondo kümmerte sich nicht mehr um die Kritiker, weil er Filme für die breite Masse machte. In den Achtzigern wurden die Filme, wie „Das As der Asse“ und „Der Profi 2“, platter. Er wurde auch langsam zu alt, um die Stunts noch selbst auszuführen. Über seine Filmkarriere erzählt er in dem auch schon aus älteren Interviews bekanntem Duktus, dass der kommerzielle Erfolg eines Filmes auch ein Qualitätsmerkmal sei. Eine Reflexion darüber erfolgt nicht. Er nimmt auch keine Neubewertung seines damaligen Schaffens vor oder beschäftigt sich intellektuell mit seinem Werk, für das er auch als Produzent verantwortlich war und das vor allem und oft nur das Publikum unterhalten wollte. Es gibt ab und an kleine Anekdoten von den Dreharbeiten, die ihm immer dann besonders gut gefielen, wenn er mit Freunden zusammenarbeiten konnte und ‚viele sportliche Szenen absolvieren‘ konnte. Über sein Privatleben, seine beiden Ehefrauen, seine Partnerinnen, seine Kinder und seinen Schlaganfall 2001, erfährt man dagegen fast nichts.
Ende der Achtziger zog er sich fast vollständig aus dem Filmgeschäft zurück. Die wenigen Filme, in denen er seitdem mitspielte, kamen auch nicht mehr in unsere Kinos. Ab 1987 trat er dann wieder öfter im Theater auf.
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Jean-Paul Belmondo: Meine tausend Leben – Die Autobiographie
(unter Mitarbeit von Paul Belmondo und Sophie Blandinières)
(übersetzt von Pauline Kurbasik und Dr. Bettina Seifried)
Eye in the Sky – In letzter Sekunde (Eye in the Sky, Großbritannien 2015)
Regie: Gavin Hood
Drehbuch: Guy Hibbert
Ein über den halben Globus verteiltes Team beobachtet mittels einer Drohne und eines Agenten vor Ort die Zusammenkunft von islamistischen Terroristen in einem Haus in Nairobi. Als sie sehen, dass die Terroristen sich auf einen Selbstmordanschlag vorbereiten, stehen sie vor der Frage, ob sie weiter beobachten oder den vermuteten Anschlag verhindern wollen.
Gut besetztes, gut gespieltes und zum Nachdenken anregendes Dramas über den Drohnenkrieg, die damit verbundenen Entscheidungen und moralischen Fragen.
Bei uns erschien „Eye in the Sky“ direkt auf DVD.
mit Helen Mirren, Aaron Paul, Alan Rickman, Barkhad Abdi, Jeremy Northam, Iain Glen, Phoebe Fox,Monica Dolan, Michael O’Keefe, Laila Robins, Gavin Hood
Polizist Coleman jagt den Nachtclubbesitzer Simon, mit dem er befreundet ist und der Überfälle begeht. Zwischen den beiden Männern steht Simons Freund Cathy.
Nach „Der eiskalte Engel“ und „Vier im roten Kreis“ war „Der Chef“ die dritte Zusammenarbeit von Alain Delon und Jean-Pierre Melville und zum ersten Mal spielte Delon einen Polizisten. Aber weil es Melville in „Der Chef“ auch um die Austauschbarkeit von Gangstern und Polizisten ging, unterschied Delons Rolle sich kaum von seinen vorherigen Rollen als Gangster. Denn Melville räumt Coleman und Simon etwa gleich viel Leinwandzeit ein.
„Melvilles letzter Film (…) ist ein würdiger Abschluss im Werk eines seines Metiers und seiner Liebe zum Kino sicheren Ultra-Professionellen, der die düstersten und unheimlichsten, aber auch ästhetisch vollkommendsten und menschlichsten Filme schuf, die in Frankreich je gedreht worden sind.“ (Hans Gerhold: Un Flic in „Jean-Pierre Melville, Hanser Reihe Film 27, 1982)
„‘Un Flic’ ist vermutlich der kälteste Film Melvilles, und Alain Delon gelingt als Chef-Fahnder Edouard Coleman der Pariser Kriminalpolizei eine brillante Charakterstudie über die Einsamkeit und Isolation des professionellen Menschenjägers.“ (Wolfgang Schweiger: Der Polizeifilm, 1989)
Mit Alain Delon, Catherine Deneuve, Richard Crenna, Riccardo Cucciolla, Michel Conrad
Polizeiruf 110: Bis Mitternacht (Deutschland 2021)
Regie: Dominik Graf
Drehbuch: Tobias Kniebe
Kommissarin Bessie Eyckhoff glaubt, dass Jonas Borutta der Isarauenmörder und Messerstecher vom Olympiadorf ist. Neunzig Minuten bevor sie ihn mangels Beweisen entlassen muss, zieht sie ihren Kollegen Josef Murnauer hinzu. Auch er hatte Borutta vor einigen Jahren als Mörder verdächtigt.
Ein „Polizeiruf 110“ von Dominik Graf. Muss ich noch mehr sagen?
mit Verena Altenberger, Michael Roll, Thomas Schubert, Daniel Christensen, Robert Sigl, Thomas Wittmann
Matthew Herbert ist ein musikalischer Grenzgänger oder, anders gesagt, ein Musiker, der im Berghain und in der Elbphilharmonie auftritt und damit das Feld zwischen Electronic, Techno, Avantgarde, Jazz und Neuer Musik bespielt. Er schreibt auch Soundtracks, unter anderem für Sebastián Lelios „Eine fantastische Frau (Una mujer fantástica) und „Gloria – Das Leben wartet nicht“ (Gloria Bell). Für seine Arbeiten benutzte er in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Pseudonyme, nämlich Herbert, Doctor Rockit, Radio Boy, Mr. Vertigo, Transformer und Wishmountain. Und er ist ein Klangforscher.
Dieser Aspekt seines musikalischen Schaffens steht im Zentrum von „A Symphony of Noise“. Regisseur Enrique Sánchez Lansch („Rhythm is it!“, „Das Reichsorchester – Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus“) traf sich in den vergangenen zehn Jahren immer wieder mit Herbert und dokumentierte seine aktuellen Projekte. Er beobachtet ihn ausführlich bei der Arbeit. Er unterhält sich mit ihm über die geplanten Musikstücke und die damit verbundenen ästhetischen, musikalischen und politischen Absichten.
Ein großer Teil seines im Film dokumentierten Schaffens besteht aus dem Aufnehmen und Neu-Arrangieren von Geräuschen. Das sind die Geräusche, die ein Mastschwein von seiner Geburt bis zu seinem Tod macht und hört. Oder die Geräusche, die ein Baum hört, wenn er im Wald steht, gefällt, transportiert und bearbeitet wird. Dafür wird im Baum ein Mikrofon angebracht. Oder es sind die Geräusche, die zertretene Eier machen. Oder die Geräusche in einem Fish’n’Chips-Imbiss in einer Hafenstadt nach dem Brexit-Volksentscheid bei der Herstellung des Essens. Der Brexit war auch die Initialzündung für seine Brexit Big Band, die ein musikalischer Gegenentwurf zu dem von ihm abgelehntem Brexit ist. Oder die einer Schwimmerin, die den Ärmelkanal durchquert. Oder er beschäftigt sich mit Gustav Mahlers 10. Sinfonie und wie sich sich im geschlossenen Sarg anhört. Bei diesen Projekten geht es immer auch um neues und genaues Hören; wobei einige Geräusche erst durch Herberts Erklärungen ihre Geschichte und ihre Bedeutung erhalten.
Der so entstandene Dokumentarfilm ist ein Werkstattbericht, der Herbert und seine Arbeit vorstellt, ohne sein Werk in die Musikgeschichte einzuordnen. „A Symphony of Noise“ gibt einen tiefen Einblick in den Schaffensprozess von Matthew Herbert, der darüber auch ausführlich, oft mit einem selbstironischen Ton, spricht. Die längeren Konzertausschnitte zeigen dann, dass Herberts Musik vor allem Musik zum Tanzen ist; – – – jedenfalls die gezeigten Ausschnitte aus einem Auftritt im Berghain und eines Konzerts der Brexit Big Band, die dann doch sehr nach einer konventionellen Big Band klingt.
A most violent Year(A most violent Year, USA 2014)
Regie: J. C. Chandor
Drehbuch: J. C. Chandor
New York, 1981: Heizölhändler Abel Morales will ehrlich bleiben, während die Stadt im Verbrechen versinkt und seine Laster am helllichten Tag überfallen werden. Seine aus einer Gangsterfamilie stammende Frau rät ihm, zurückzuschlagen. Und die Polizei verdächtigt ihn, wie alle Geschäftsleute aus der Branche, mit der Mafia Geschäfte zu machen.
Starker Wirtschaftsthriller in der Tradition von Sidney Lumet.
„A most violent Year“ ist ein düsteres, sich langsam entwickelndes Drama, ein Noir über einen Mann, der ehrlich bleiben möchte (jedenfalls so weit das in seiner Branche möglich ist) und der sich zwischen seinen hehren Prinzipien und seiner Existenz, der seiner Familie und ihrem durchaus gehobenem Lebensstil entscheiden muss. Weil Chandor „A most violent Year“ wie einen Weiße-Kragen-Gangsterfilm inszeniert und die Geschichte sich im Bereich der alltäglichen Graustufen, in denen es nur mehr oder weniger richtige und falsche Entscheidungen gibt, geht es vor allem um die Frage, welche und wie viele Kompromisse Abel Morales eingehen muss, um als Unternehmer erfolgreich zu sein. Und, auch das ist von Anfang an klar: Morales wäre nicht so weit gekommen, wenn er sich immer hundertprozentig an die Gesetze gehalten hätte.
Zwischen seinen „Aquaman“-Filmen („Aquaman and the lost Kingdom“ ist für Dezember 2022 angekündigt) kehrte James Wan zu seinen Horrorfilmwurzeln zurück. Immerhin wurde er weltweit bekannt mit dem Horrorfilm „Saw“. „Dead Silence“, „Insidious“ und „The Conjuring“ folgten.
In seinem neuen Horrorfilm „Malignant“ steht die in Seattle lebende junge Krankenschwester Madison (Annabelle Wallis) im Mittelpunkt.
Nachdem ihr Freund bestialisch ermordet wird, hat sie Visionen von weiteren Morden. Zunächst hält sie sie für Alpträume. Aber die Morde sind wirklich geschehen und sie hat zu dem Mörder, den sie Gabriel nennt, eine Verbindung, die weit in ihre Vergangenheit zurückreicht.
Mehr über die Story zu verraten, dürfte dann schon einige wichtige Details der Lösung verraten.
Beschäftigen wir also mit den anderen Dingen. Der Plot ist ein gelungener Rückgriff auf alte Horror-Topoi, in denen es um Irrenanstalten, experimentierfreudige Forscher und physisch und psychisch deformierte Mörder geht, mit denen wir dann doch Mitleid haben. Das Ganze spielt zu einem großen Teil in Madisons Haus, das wie eine dunkle Vision des „Psycho“-Hauses wirkt, dem Seattle Underground (um 1900 wurden dort im Stadtzentrum die Straßen und Gehwege um teils bis zu zehn Meter angehoben), verschiedenen älteren Gebäuden und selbstverständlich der Irrenanstalt, die aussieht, wie Irrenanstalten in Filmen immer aussehen und die in Filmen vor allem lange nach Sonnenuntergang durchsucht werden. Auch in „Malignant“ besucht Madisons Schwester die verfallene Klinik nachts und sie findet im Keller (wo sonst?), neben vielen anderen Akten, die von ihr gesuchten Akten (Datenschutz ist so unamerikanisch).
James Wan nimmt alle diese Horror-Topoi und präsentiert sie als perfekt orchestrierte, aber auch überlaute Geisterbahnfahrt, unterlegt mit nervenaufreibenden Klängen, die an Bernard Herrmanns „Psycho“-Soundtrack erinnern. Alles ist immer eine Spur zu laut, zu dunkel und zu sehr auf die bekannten Jumpscare-Effekte hin inszeniert. Das führt dann zu einem Erschrecken nach Fahrplan; – bis am Ende, um im Bild zu bleiben, der Zug entgleist. In dem Moment dreht ‚Gabriel‘ auf dem Polizeirevier durch und die Leichen stapeln sich. Dabei unterscheidet ‚Gabriel‘ nicht zwischen Gefangenen und Polizisten. Und damit ist auch klar, dass Genre-Fan James Wan bei seinem Horror-Best-of keine Kompromisse eingeht wenn er sich nach dem Mehr-ist-mehr-Prinzip durch die Geschichte des Horrorfilm wühlt.
Am besten lässt sich „Malignant“ als die Heavy-Metal-Version klassischer Horrorfilme oder als Giallo in Schwarz (anstatt dem gewohnten Blutrot) beschreiben.
Malignant (Malignant, USA 2021)
Regie: James Wan
Drehbuch: Akela Cooper (nach einer Geschichte von James Wan, Ingrid Bisu und Akela Cooper)
mit Annabelle Wallis, Maddie Hasson, George Young, Michole Briana White, Jacqueline McKenzie, Jake Abel, Ingrid Bisu
Michèle Leblanc (Isabelle Huppert), die taffe Chefin einer Videogame-Firma, wird vergewaltigt. Danach reagiert sie anders als erwartet. Denn sie verweigert konsequent die Opferrolle.
Grandioser Thriller von „Basic Instinct“ Paul Verhoeven mit einer grandiosen Isabelle Huppert in der Hauptrolle.
mit Isabelle Huppert, Laurent Lafitte, Anne Consigny, Christian Berkel, Charles Berling, Virginie Efira, Judith Magre, Jonas Bloquet, Alice Isaaz, Vamila Pons
Bei Marvel gab es wohl einen mehr als erleichterten Stoßseufzer, als sie vor der Schließung der Kinos wegen der Coronavirus-Pandemie ihre vierte Phase des Marvel Cinematic Universe noch nicht gestartet und die dritte Phase des MCU bereits erfolgreich abgeschlossen hatten. „Spider-Man: Far From Home“ war im April 2019 ein kleiner Nachschlag zu „Avengers: Endgame“ und dem Abschluss der großen, viele Filme umspannenden Erzählung. Dann gab es noch den „Black Widow“-Film, der in der Vergangenheit von Natasha Romanoff und damit vor den Ereignissen von „Avengers: Endgame“ spielt.
Die Zeit bis zum nächsten Kinofilm und dem richtigen Start der vierten Phase vertrieb man sich mit verschiedenen hochgelobten Streamingserien bei Disney+.
Und jetzt ist er da: der Start der neuen Großerzählung, die uns wieder in unbekannte Welten führen wird, in denen wir bekannte und unbekannte Superhelden treffen werden. Sie beginnt mit der Vorstellung einer Figur, die im Dezember 1973 ihren ersten Comicauftritt hatte und die auch „Master of Kung Fu“ genannt wird. „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ heißt der Film. Shang-Chi wird von Simu Liu gespielt und er ist der erste asiatische MCU-Superheld. Auch die übrige Besetzung hat einen asiatischen Background.
Der Film beginnt mit einer kurzen Erklärung, was die titelgebenden Zehn Ringe sind und er erzählt, wie Shang-Chis Vater Xu Wenwu (Tony Leung) 1996 seine Mutter Li kennenlernte. Dann springt der Film in die Gegenwart . Shang-Chi schlägt sich reichlich ambitionslos als Autoeinparker bei einem Nobelhotel durch das Leben. Mit seiner platonischen Freundin Katy (Awkwafina) blödelt er herum und er ist absolut zufrieden mit seinem Leben. Als sie während einer Busfahrt von einer Horde Schläger überfallen werden – sie haben es auf Shang-Chis Amulett abgesehen – vermöbelt der Schluffi Shang-Chi sie, während der Bus ungestört weiterfährt. Der Fahrer hört Musik und bekommt deshalb von der Schlägerei nichts mit. Als er ausfällt, übernimmt Katy das Lenkrad.
Gut, diese Actionszene ist vollkommen unrealistisch, aber durchaus witzig und wir sind gleich mitten in der Handlung. Wir wissen, dass der Bösewicht das Amulett will, um damit Unheil zu verursachen, und dass Shang-Chis Schwester den anderen Teil des Amuletts besitzt. Auch das Training des Helden, das in anderen Filmen den gesamten Mittelteil des Films beansprucht, wird hier schnell in einer Montage abgehandelt, die uns zeigt, wie er von Geburt an trainiert wurde. Die Macher haben also viel Zeit, sich auf den Kampf um das Amulett und das Abwenden der großen Katastrophe zu konzentrieren. Außerdem ist der Bösewicht dieses Mal präsenter als in anderen Marvel-Filmen. Dort ist er oft ja kaum erinnerungswürdig. Auch sein Motiv wird früh verraten und es ist sehr nachvollziehbar. Aber aus diesem Potential wird nichts gemacht. Im Mittelteil plätschert der Film endlos vor sich hin. Das Finale ist ebenso endlos und leider auch ein vollkommen spannungsfreier Pixelrausch. Doch dazu später mehr.
Bleiben wir noch einem Moment, ohne etwas von der Story zu verraten, bei der Story. Sie besteht aus einer Aneinanderreihung von Szenen, die keinerlei Konsequenzen haben. Das Potential bestimmter Ideen wird auch nie ausgeschöpft. Es wirkt, als hätten die Macher einfach verschiedene Drehbücher zusammengeworfen, sie mit einigen Anspielungen auf frühere Marvel-Filme, Witzigkeiten für die vor allem Awkwafina zuständig ist, vielen, sehr vielen, also wirklich sehr vielen Spezialeffekten und Kung-Fu-Kämpfen (weil Master of Kung Fu) garniert.
Anscheinend wurde jedes Bild exzessiv am Computer bearbeitet. Alles sieht künstlich aus. Oft sind die Bilder zu dunkel und verwaschen. Dabei sind die CGI-Effekte so lieblos hingeschludert, dass sie immer – immerhin reden wir hier von einem Film mit einem sich deutlich im dreistelligem Bereich befindendem Millionenbudget – wie die Rohfassungen für eine billigeren Film aussehen.
Die Martial-Arts-Kämpfe versuchen an die aus asiatischen Filmen bekannten Kämpfe und ihre Inszenierung anzuknüpfen. Ich sage „versuchen“ und nicht „knüpfen an“ weil sie nie die Leichtigkeit und Eleganz haben, die aus asiatischen Filmen bekannt ist. Dabei zeigte Disney in „Mulan“, dass sie es besser können.
Am Ende der beiden sehr enttäuschenden Filmstunden – und das ist jetzt keine große Überraschung und auch kein Spoiler – werden Shang-Chi und seine Freundin Katy in den Kreis der Marvel-Helden aufgenommen.
Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings (Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings, USA 2021)
Regie: Destin Daniel Cretton
Drehbuch: Dave Callaham, Destin Daniel Cretton, Andrew Lanham (nach einer Geschichte von Dave Callaham und Destin Daniel Cretton, basierend auf den Marvel-Comics von Steve Englehart und Jim Starlin)
mit Simu Liu, Tony Leung, Awkwafina, Fala Chen, Meng’er Zhang, Florian Munteanu, Ronny Chieng, Michelle Yeoh, Benedict Wong, Ben Kingsley, Tim Roth
Was haben wir? Einen Klassiker der deutschen Literatur, der schon einmal fürs Kino verfilmt verfilmt. Aber das war vor fast 65 Jahren und in Schwarzweiß. Daniel Kehlmann als Drehbuchautor. Detlev Buck als Regisseur. Sie arbeiteten schon bei „Die Vermessung der Welt“ (Deutschland/Österreich 2012) zusammen. Eine prominente Besetzung, bestehend aus Jannis Niewöhner als Felix Krull, David Kross als Marquis Louis de Venosta, Liv Lisa Fries als ihre Freundin Zaza und, in Nebenrollen, Maria Furtwängler, Joachim Król, Nicholas Ofczarek, Annette Frier, Dominique Horwitz, Martin Wuttke und Desirée Nosbusch.
Das klingt nach einer Klassikerverfilmung, die interessant sein könnte.
Felix Krull ist ein Hochstapler, der in Paris zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in einem noblen Straßencafé an einem Abend Marquis Louis de Venosta die Geschichte seines Lebens erzählt. Er erzählt von seiner Kindheit im Rheingau als Sohn eines auf großem Fuß lebenden Inhabers einer Sektfirma. Als die Firma bankrott geht, begeht Krulls Vater Suizid. Danach eröffnet seine Mutter in Frankfurt eine kleine Pension. Aus diesem Leben flüchtet Krull nach Paris, dem Land seiner Träume. In Paris heuert er im Grandhotel als Page an. Schnell steigt der allseits beliebte Schlawiner und anpassungsfähige Charmeur auf.
In Paris trifft er auch wieder Zaza. Mit ihr verbrachte er in Frankfurt glückliche Stunden. Sie ist, wie er, eine Hochstaplerin.
Zaza ist auch die große Liebe des Marquis. Er weiß allerdings nicht, dass Krulls große Liebe auch seine große Liebe ist. Allerdings kann er Zaza wegen ihres Standes nicht heiraten. Außerdem will sein Vater ihn auf eine Weltreise schicken. Der Marquis möchte nicht. Aber der Erhalt seines Erbes ist an diese Reise geknüpft.
Diese väterliche Erpressung, von der wir erst ziemlich spät im Film erfahren, ist dann auch der Grund für Krulls Redseligkeit. Denn Krull würde sehr gerne eine Weltreise unternehmen. Sehr gerne auch unter falschem Namen und mit einer gut gefüllten Reisekasse.
Nach den grandiosen, wagemutigen, sehr eigenständigen neuen Literaturverfilmungen „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ und „Martin Eden“ ist Detlev Bucks „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ mehr als fünf Schritte zurück zu den sattsam bekannten Literaturverfilmungen, die brav die Vorlage bebildern und jegliche eigene Handschrift vermissen lassen. Wenn Detlev Buck nicht als Regisseur genannt würde, würde man es nicht einmal erahnen, dass hier der Regisseur von „Wir können auch anders…“ am Werk war.
„Felix Krull“ ist selbstverständlich kein grottenschlechter Film. Dafür sind die Schauspieler zu gut. Die Kostüme und die Ausstattung ebenfalls. Und natürlich ist alles gut aufgenommen. Auch wenn das im Film gezeigte Paris der Jahrhundertwende verdächtig nach einer missglückten Mischung aus Kulisse und CGI aussieht.
Das Drehbuch krankt an seiner Rückblenden-Struktur, die keine Spannung aufkommen lässt. Schließlich ist Krull jeder gefährlichen Situation entkommen. Sonst könnte er dem Marquis jetzt nicht seine Lebensgeschichte erzählen. Warum er das tut, wird erst viel zu spät im Film deutlich und das Erzählen der eigenen Untaten ist sicher nicht die geeignetste Methode, um einen anderen Menschen zu einem Identitästausch anzustiften.
Krulls in Rückblenden erzählte Lebensgeschcihte wird so präsentiert, als gäbe es nur eine Wahrheit und als ob der passionierte Schwindler sie genau jetzt erzählt. Mit dieser Erzählhaltung fällt Bucks „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ erzählerisch hinter Alfred Hitchcocks „Die rote Lola“ (1950) zurück. In dem Film zeigte Hitchcock eine Rückblende, die eine Lüge war. Dabei galt bis dahin die Regel, dass in Rückblenden, weil sie bebildert sind, die Wahrheit erzählt wird. Heute, auch nach Filmen wie „Rashomon“ (ebenfalls 1950), betrachten wir eine Rückblende als die subjektive Sicht des Erzählenden auf die Ereignisse.
Auch Krull könnte uns belügen. Es gibt im Film allerdings keinen entsprechenden Hinweis. Außer vielleicht, dass Krull nur von schönen Frauen und honorigen Männern begehrt wird.
Und so ist „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ als langweiliges, niemals herausforderndes oder irritierendes Bildungsbürgertumskino nur die nächste Klassikerverfilmung für den Deutschunterricht.
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (Deutschland 2021)
Regie: Detlev Buck
Drehbuch: Daniel Kehlmann, Detlev Buck
LV: Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, 1954
mit Jannis Niewöhner, Liv Lisa Fries, David Kross, Maria Furtwängler, Nicholas Ofczarek, Joachim Król, Christian Friedel, Harriet Herbig-Matten, Dominique Horwitz, Annette Frier, Martin Wuttke, Anian Zollner, Désirée Nosbusch, Detlev Buck, Heinrich Schafmeister
Die Frau des Nobelpreisträgers – The Wife (The Wife, Großbritannien/Schweden/USA 2017)
Regie: Björn Runge
Drehbuch: Jane Anderson
LV: Meg Wolitzer: The Wife, 2003 (Die Ehefrau)
1992: US-Romancier Joe Castleman ist im siebten Himmel. Er erhält den Nobelpreis! Zusammen mit seiner Frau Joan und ihrem Sohn David fliegt er nach Stockholm zur Preisverleihung. Während er im Mittelpunkt der Feierlichkeiten steht, erinnert sich seine Frau an ihr gemeinsames Leben und ihre erste Begegnung, als sie in den fünfzigern eine Studentin mit einer verheißungsvollen Schriftstellerkarriere war und sich in Joe verliebt.
Grandioses, präzise inszeniertes Schauspielerkino, das als intimes Ehedrama die Frage stellt, wie eine langfristige Beziehung funktioniert, wer dafür mehr von seinem Leben aufgibt, was man dafür bekommt und ob es nicht doch ein ungefähr gleichgewichtiges Geben und Nehmen sein sollte.
Glenn Close wurde für ihr Spiel einhellig gelobt und erhielt etliche Preise, u. a. einen Golden Gobe. Vielleicht nicht der prestigeträchtigste Preis, den sie für diese Rolle erhielt, aber der mit dem schönsten Titel ist „Actress Defying Age and Ageism“, verliehen von der Alliance of Women Film Journalists.