Stilsicherer, an das Kino der Siebziger erinnernder, 1988 in New York spielender Polizeithriller über zwei Brüder: der eine folgt der Familientradition und wird Polizist; der andere Discobesitzer und Verbrecher. Jetzt steht der Discobesitzer vor der Frage, ob er vollständig mit seiner Familie brechen soll.
„Helden der Nacht hat alle Ingredienzien eines Genrethrillers. Mehr noch, Gray scheint einigen dieser Klassiker seine Reverenz erweisen wollen. In seinen besten Momenten ruft Helden der Nacht Erinnerungen an die Korruptionsthriller Sidney Lumets oder die dreckigen kleinen Nachtfilme Scorseses wach.“ (epd Film 2/2008)
Mit Joaquin Phoenix, Mark Wahlberg, Eva Mendes, Robert Duvall, Tony Musante
Die Eckpunkte aus dem Leben von Napoleon Bonaparte dürften aus dem Schulunterricht bekannt sein: Geburt am 15. August 1769 auf Korsika, Militärdienst, Aufstieg mit erfolgreichen Feldzügen und Schlachten zum General und Kaiser der Franzosen, Erlass des Code Civil, ein gescheiterter Russlandfeldzug (Wer hätte auch ahnen können, dass russische Winter eiskalt sind und dass die Moskauer ihre Stadt verlassen, bis Napoleon sich frustriert zurückzieht?), Verbannung nach Elba, Rückkehr nach Paris für hundert Tage, Niederlage in Waterloo (Seitdem steht der Name des Dorfes für grandios-überwältigende finale Niederlagen.) und anschließénde Verbannung nach St. Helena. Dort stirbt er am 5. Mai 1821.
Sein kurzes Leben spielt sich vor dem Hintergrund der Französischen Revolution und ihrer Nachwirren ab.
Das ist alles, wie gesagt, Schulwissen.
Weniger bekannt über Napoleon ist, dass der Feldherr mit Joséphine de Beauharnais verheiratet war. Als er sie kennen lernt, ist sie eine Witwe mit zwei Kindern. Und sechs Jahre älter als er. Außerdem ist sie politisch gut vernetzt. Sie heiraten 1796 und sie fördert seinen politischen Aufstieg.
Jetzt verfilmte Ridley Scott dieses Leben als Epos, das brav den Konventionen eines Biopics folgt. Chronologisch wird eine Lebensstation nach der nächsten Station abgehandelt. Die Politik wird, wenn es nicht anders geht, gestreift. Aber dafür interessiert Scott sich nicht. Er interessiert sich für die von Napoleon geführten Schlachten und für seine Beziehung zu Joséphine. Alles andere ist Beiwerk
Darau ergibt sich ein stetiger Wechsel aus intimen Szenen und epischen Schlachtengemälden. Aber für Kampfstrategien und das Verhältnis zwischen Napoleon und seinen Soldaten interessiert Scott sich nicht. Viel lieber zeigt er die Schlachten als ein Aufeinandertreffen verfeindeter, sich gegenseitig tötender Soldaten.
Und damit kämen wir zum ersten Punkt, in dem „Napoleon“ sich von anderen Biopics über Feldherren unterscheidet. Scott zeigt drastisch, was eine Kanonenkugel, ein Schwerthieb, eine Kugel bei dem Opfer anrichtet. Blut und Gedärme von Menschen und Pferden spritzen über die Leinwand. Die Schlachten sind Massaker, bei denen die Seite gewinnt, die mehr Männer zum Sterben auf das Schlachtfeld schicken kann. Jedes Mal starben, wie auch eine Texttafel am Filmende verrät, bei den im Film gezeigten Schlachten zehntausende junger Männer.
Der zweite Punkt, der „Napoleon“ von anderen Biopics unterscheidet, ist die Präsentation der Beziehung zwischen Napoleon und Joséphine. Von Anfang an ist es eine schräge, toxische Beziehung, in der sie sich lieben, aber nicht miteinander leben können. Eine seltsamere große Liebe wurde wahrscheinlich noch nie gezeigt. Gleichzeitig hat, auch wenn Scott sich für diesen Aspekt weniger interessiert, ihre Beziehung auch immer etwas von einer Zweckehe. Er interessiert sich eher für die sexuelle, triebgesteuerte Seite der Beziehung.
Der Rest des über zweieinhalbstündigen Films ist konventionelles Biopic-Kino mit Schauwerten und einer immer wieder erstaunlich sprunghaften Erzählweise. So brechen die Schlachten immer wieder mitten im größten Getümmel ab. Die Folgen, also die Felder mit Toten und Verletzten, zeigt Scott nie.
In der von Scott bereits angekündigten deutlich über vierstündigen Langfassung des Films dürfte sich das nicht ändern. Denn er will nicht mehr über Napoleon (Joaquin Phoenix) und seine Verdienste als Feldherr und Politiker erzählen. Er will mehr über Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby) erzählen. Damit dürfte „Napoleon“ endgültig nicht mehr, wie der Kinofilm, ‚Napoleon & Joséphine‘, sondern „Joséphine & Napoleon‘ sein.
Napoleon (Napoleon, USA 2023)
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: David Scarpa
mit Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Ludivine Sagnier, Tahar Rahim, Ian McNeice, John Hollingworth, Ben Miles, Rupert Everett, Paul Rhys
Inherent Vice – Natürliche Mängel(Inherent Vice, USA 2015)
Regie: Paul Thomas Anderson
Drehbuch: Paul Thomas Anderson
LV: Thomas Pynchon: Inherent Vice, 2009 (Natürliche Mängel)
Los Angeles in den frühen Siebziger: Der dauerbekiffte Privatdetektiv Larry ‚Doc‘ Sportello (Joaquin Phoenix) sucht den spurlos verschwundenen Liebhaber einer seiner Ex-Freundinnen. Das ist der Auftakt für einen wahrhaft labyrinthischen Plot, der sich ungeniert bei den großen und bekannten Noirs bedient – und sich würdig zu ihnen gesellt.
Köstlicher, ebenso traditionsbewusster wie selbstironischer Noir für die Fans von Hammett, Chandler, Ellroy, „Chinatown“, „The Big Lebowski“ und „The Nice Guys“ (ja, die netten Jungs kamen genaugenommen etwas später). Die Vorlage dieses Megacuts des bekannten Hardboiled- und Noir-Kanons ist von Thomas Pynchon.
Danach will man sich wieder die Klassiker ansehen.
mit Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Owen Wilson, Katherine Waterston, Reese Witherspoon, Benicio Del Toro, Martin Short, Jena Malone, Joanna Newson, Eric Roberts, Hong Chau, Michael Kenneth Williams, Martin Donovan, Sasha Pieterse
Beau Wassermann (Joaquin Phoenix, gewohnt überzeugend) lebt in einer Großstadt in einer heruntergekommenen Bude. Er fühlt sich von allen, unter anderem einem mysteriösem Serienkiller und einem Botschaften unter seiner Tür durchschiebendem Nachbarn, bedroht. Tabletten halten seine Paranoia halbwegs im Schach. Trotzdem ist für ihn der Gang zum gegenüberliegenden Geschäft ein lebensbedrohliches Abenteuer voller menschlicher und nichtmenschlicher Monster. Deshalb verbringt er am liebsten die Zeit in seinem abgeranztem Mini-Apartment, das nichts von seinem Reichtum verrät. Denn er stammt aus einer vermögenden Familie. Sein Vater starb bei seiner Zeugung. Seine erfolgreich das Unternehmen führende Mutter dominiert über sein Leben.
Als sie bei einem bizarren Unfall stirbt, muss er sich, quer durch das Land, auf die Reise zu ihrer Beerdigung begeben. Diese Reise wird, selbstverständlich, zu einer (weiteren) Begegnung mit seinen inneren Dämonen und einer Auseinandersetzung mit seinem Leben und seinen ziemlich alles umfassenden Ängsten. So weit, so gut, so erwartbar.
Ari Aster, der mit seinen beiden vorherigen Horrorfilmen „Hereditary“ und „Midsommar“ Kritiker begeisterte und innerhalb der Horrorfilmgemeinde ebenfalls auf viel Wohlwollen stieß, erzählt in „Beau is afraid“ ein Quasi-Road-Movie, das mehr oder weniger im Kopf des Protagonisten spielt. Der dreistündige Film gliedert sich, so das Presseheft, „in eigenständige Abschnitte, mit vier Hauptkapiteln sowie zwei zusätzlichen Sequenzen, darunter eine Rückblende auf einem Kreuzfahrtschiff, in der die Mutter-Sohn-Dynamik zementiert wird, sowie ein rätselhafte Auflösung“.
Das liest sich jetzt etwas kompliziert, aber wenn die Geschichte gut erzählt ist, fällt die darunter liegende Struktur nicht weiter auf. Sie ist dann etwas für spätere Analysen in Universitätsseminaren. Dort können dann auch alle Anspielungen analysiert werden. Schon beim Ansehen fällt diese Struktur negativ auf. Wenig unterhaltsam, oft quälend langweilig und konfus, zerbröselt „Beau is afraid“ in wenige gelungene und viele einfach langweilige Szenen, die sich teilweise endlos ohne irgendeinen Erkenntnisgewinn ziehen bis hin zu der „rätselhaften Auflösung“.
Dass Asters dritter Film kein Totaldesaster ist, liegt an den wenigen gelungenen Szenen. So ist der Anfang des Episodenfilms, der Beaus Leben in der Großstadt zeigt, grandios. Die an den „Zauberer von Oz“/“ Alice im Wunderland“ erinnernde teilanimierte Szene gefällt ebenfalls. Eigentlich alle anderen Szenen wären meistens überzeugender, wenn sie kürzer wären. Jetzt sind sie oft zu lang, zu platt oder einfach zu rätselhaft.
Mit drei Stunden ist „Beau is afraid“ mindestens eine Stunde zu lang. Denn nach dem starken Anfang wird das schwarzhumorige Drama in dem Moment, in dem Beau seine Wonung verlässt und sich auf den Weg zu seiner Mutter macht, zu einer überlangen, konfusen Ansammlung von Episoden und Notizen mit begrenztem Erkenntnisgewinn. Für Beau ist es ein weiterer Horrortrip voller Demütigungen, Erniedrigungen und panischer Fluchtversuche. Für den Zuschauer eine Geduldsprobe.
Inherent Vice – Natürliche Mängel(Inherent Vice, USA 2015)
Regie: Paul Thomas Anderson
Drehbuch: Paul Thomas Anderson
LV: Thomas Pynchon: Inherent Vice, 2009 (Natürliche Mängel)
Los Angeles in den frühen Siebziger: Der dauerbekiffte Privatdetektiv Larry ‚Doc‘ Sportello (Joaquin Phoenix) sucht den spurlos verschwundenen Liebhaber einer seiner Ex-Freundinnen. Das ist der Auftakt für einen wahrhaft labyrinthischen Plot, der sich ungeniert bei den großen und bekannten Noirs bedient – und sich würdig zu ihnen gesellt.
TV-Premiere. Köstlicher, ebenso traditionsbewusster wie selbstironischer Noir für die Fans von Hammett, Chandler, Ellroy, „Chinatown“, „The Big Lebowski“ und „The Nice Guys“ (ja, die kamen genaugenommen etwas später). Die Vorlage dieses Megacuts des bekannten Hardboiled- und Noir-Kanons ist von Thomas Pynchon.
Danach will man sich wieder die Klassiker ansehen.
mit Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Owen Wilson, Katherine Waterston, Reese Witherspoon, Benicio Del Toro, Martin Short, Jena Malone, Joanna Newson, Eric Roberts, Hong Chau, Michael Kenneth Williams, Martin Donovan, Sasha Pieterse
Melodrama über eine polnische Einwanderin, die 1921 in New York, mangels Alternativen, als Prostituierte ihr Geld verdienen muss und von zwei Männern, ihrem Zuhälter und einem Magier, geliebt wird.
„In Sepiatönen gedrehtes Einwanderer-Melodram, das in der Leidensgeschichte seiner fantastisch gespielten Hauptfigur an die Stummfilmzeit anknüpft. Stilbewusst hält der Film die Waage zwischen Realismus und bewusst eingesetzter Emotionalität“ schreibt das Lexikon des internationalen Films zutreffend über James Grays Film, der, wieder einmal, glänzend besetzt ist, wieder einmal von der Kritik abgefeiert wurde und wie sein vorheriger Film „Two Lovers“ bei uns nicht im Kino lief. Seine nächsten Filme liefen bzw. laufen („Zeiten des Umbruchs“ ist ja erst angelaufen) im Kino.
mit Marion Cotillard, Joaquin Phoenix, Jeremy Renner, Dagmar Dominczyk, Jicky Schnee
Und gleich noch ein Film mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle
Servus TV, 20.15
Two Lovers (Two Lovers, USA 2008)
Regie: James Gray
Drehbuch: James Gray, Rick Menello
Nicht der Plot (eigentlich ein 08/15-Liebedrama: Leonard lebt, nach mehreren Selbstmordversuchen, wieder in seinem Jugendzimmer. Seine Eltern wollen ihn mit Sandra verkuppeln. Aber er ist in Michelle verliebt.), sondern die Machart ist entscheidend. Und die stimmt bei „Two Lovers“.
Denn „Two Lovers“ ist wie Grays vorherige Filme „Little Odessa“, The Yards – Im Hinterhof der Macht“ und „Helden der Nacht“ hochkarätig besetztes Schauspielerkino ohne einen falschen Ton. Weder im Spiel, noch in der Kameraführung, dem Schnitt, der Ausstattung oder der Musikauswahl. Und keines dieser Elemente drängt in den Vordergrund. Sie alle dienen der Geschichte. Wieder einmal ist Grays Blick für die Details bemerkenswert. Teilweise fallen sie beim ersten Sehen nicht auf, aber alle zusammen machen die Geschichte glaubwürdig. Es sind Kleinigkeiten, wie die Fotowand in der Wohnung der Kraditors, Leonards Jugendzimmer, die kleinen Gesten und Blicke, die in Sekundenbruchteilen alles erklären und Entscheidungen, wie Joaquin Phoenix während eines Geständnisses mit dem Rücken zur Kamera spielen zu lassen, auf einen Schnitt zu verzichten, das Licht in einer besonderen Art zu setzen und eine – teilweise unsichtbare – Zeitlupe einzusetzen.
USA, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg: Ex-Soldat Freddie Quell (Joaquin Phoenix) driftet ständig alkoholisiert durch die USA. Bis er auf Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman) trifft. Dodd ist ein Guru, der eine Schar devoter Jünger und vermögender Spender um sich versammelt hat. Jetzt will er Quell zu einem Mitglied seiner Sekte machen.
TV-Premiere; – unglaublich, aber wahr: das Meisterwerk läuft erst über neun Jahre nach seinem deutschen Kinostart im TV.
Packendes, grandios inszeniertes Schauspielerduell, in dem Paul Thomas Anderson einem großen Auftritt von Hoffman oder Phoenix immer mehr Zeit einräumt als einer stringent entwickelten Geschichte. Dazu gibt es auch einige Einblicke in die Techniken, mit denen Gurus Menschen manipulieren.
mit Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Jesse Plemons, Laura Dern, Barlow Jacobs, Ambyr Childers, Rami Malek
Wiederholung: Sonntag, 1. Mai, 01.00 Uhr (Taggenau!)
Johnny reist gerade durch die USA. Für sein neues Projekt fragt der Radiojournalist Jugendlichen, wie nach ihrer Meinung die Zukunft, also die kommende Gesellschaft und ihr Leben, aussehen wird. Abends reflektiert er in anonymen Hotelzimmern den Tag. In Detroit ruft er seine Schwester, zu der er eigentlich keinen Kontakt mehr hat, an. Es ist der Todestag ihrer Mutter.
Viv muss sich dringend um ihren Ex-Mann kümmern. Der Klassik-Musiker leidet an einer bipolaren Störung und er ist gerade wieder in einer schwierigen Phase. Deshalb bittet sie Johnny, einige Tage auf ihren neunjährigen Sohn Jesse aufzupassen.
Der kinderlose, angenehm verschluffte Johnny ist einverstanden. In den ersten Tagen, in Vivs Haus, lernen sie sich kennen. Sie gehen auch zum Strand. Jesse ist altklug, verhaltensauffälllig und ein typisches Filmkind, das in der Realität äußerst nervig wäre. Danach nimmt Johnny Jesse, mit Vivs nachträglich eingeholtem Einverständnis, mit auf seiner Reise durch die USA. Zunächst sind sie in seinem Heimatort New York, später in New Orleans. Dort befragt Johnny weitere Jugendliche. Diese Interviews sind ein zentraler Teil von Mike Mills neuem Film „Cone on, come on“ (bzw. „C’mon C’mon“).
Der andere zentrale Teil ist die Annäherung von Johnny und Jesse. Johnny übernimmt jetzt zum ersten Mal Verantwortung für einen Menschen und er muss sich mit der Rolle eines Erziehungsberichtigten auseinandersetzen. Jesse, und damit wären wir bei einem weiteren zentralen Teil des sensibel und geduldig beobachtenden Dramas, mit Johnnys Mikrophon die Welt zu erkunden. Die Geräusche, die er aufnimmt und die ohne das Mikrophon in dem Chaos der Geräusche nicht zu hören wären, verändern auch den Blick auf seine Umgebung.
Mills‘ neuer Film lebt davon, wie er verschiedene Elemente nebeneinander tupft. Er lässt sie nebeneinander stehen. Er öffnet so einen Raum für Assoziationen und zum Nachdenken. Das gilt besonders für die Interviews die Johnny mit echten Jugendlichen führte. Sie sprechen über sich. Einige erkannten dabei Johnny-Darsteller Joaquin Phoenix als den aktuellen „Joker“, andere erkannten den Schauspieler nicht. Es ist dieser improvisierte Gestus, der liebevolle Blick auf seine Figuren und die atmosphärische SW-Fotografie, die für den Film einnehmen, der eher ein Gedicht oder eine Collage als ein straff nach gängigen Hollywood-Drehbuchregeln durchkomponiertes Drama ist. Den eigentlich passiert nicht viel.
Die Städtetour durch die USA vermittelt durchgehend ein angenehmes Nouvelle-Vague-Gefühl. Mills selbst nennt explizit Wim Wenders‘ ebenfalls in SW gedrehtes Roadmovie „Alice in den Städten“.
Die Musik ist von den „The National“-Musikern Aaron und Bryce Dessner. Sie schrieben auch die Musik für das seit einigen Tagen im Kino laufende Musical „Cyrano“.
The Sisters Brothers (The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)
Regie: Jacques Audiard
Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain
LV: Patrick deWitt: The Sisters Brothers, 2011 (Die Sisters Brothers)
TV-Premiere. Schön schwarzhumoriger Neowestern über zwei Kopfgeldjäger, die titelgebenden Angst und Schrecken verbreitenden und noch auf der geistigen Entwicklunsstufe eines Kindes stehenden Sisters Brothers, die quer durch den Wilden Westen einen Goldsucher jagen. Der soll im Besitz einer Zauberformel zum effektiven Goldwaschen sein.
LV: John Ridley: Stray Dogs, 1997 (später dann als „U-Turn“ publiziert)
Auf der Flucht vor Gläubigern bleibt Bobby Coopers 64er Mustang mitten in der Wüste liegen. Während in einer Werkstatt sein Auto repariert wird, trifft er die verheiratete Grace und seine wirklichen Probleme beginnen erst jetzt. Denn Grace will ihrem Mann Jake umbringen, Jake will Grace umbringen und beide wollen sich – gegen Bares – von Bobby helfen lassen.
Grandioses Romandebüt für die Noir-Gemeinschaft, fast grandioser Film. Denn Stones „Natural Born Killers“-Stil nervt.
Ennio Morricone schrieb die Musik.
Mit Sean Penn, Jennifer Lopez, Nick Nolte, Joaquin Phoenix, Powers Boothe, Billy Bob Thornton, Jon Voight, Claire Danes, Liv Tyler, Bo Hopkins
Nicht der Plot (eigentlich ein 08/15-Liebedrama: Leonard lebt, nach mehreren Selbstmordversuchen, wieder in seinem Jugendzimmer. Seine Eltern wollen ihn mit Sandra verkuppeln. Aber er ist in Michelle verliebt.), sondern die Machart ist entscheidend. Und die stimmt bei „Two Lovers“.
Denn „Two Lovers“ ist wie Grays vorherige Filme „Little Odessa“, The Yards – Im Hinterhof der Macht“ und „Helden der Nacht“ hochkarätig besetztes Schauspielerkino ohne einen falschen Ton. Weder im Spiel, noch in der Kameraführung, dem Schnitt, der Ausstattung oder der Musikauswahl. Und keines dieser Elemente drängt in den Vordergrund. Sie alle dienen der Geschichte. Wieder einmal ist Grays Blick für die Details bemerkenswert. Teilweise fallen sie beim ersten Sehen nicht auf, aber alle zusammen machen die Geschichte glaubwürdig. Es sind Kleinigkeiten, wie die Fotowand in der Wohnung der Kraditors, Leonards Jugendzimmer, die kleinen Gesten und Blicke, die in Sekundenbruchteilen alles erklären und Entscheidungen, wie Joaquin Phoenix während eines Geständnisses mit dem Rücken zur Kamera spielen zu lassen, auf einen Schnitt zu verzichten, das Licht in einer besonderen Art zu setzen und eine – teilweise unsichtbare – Zeitlupe einzusetzen.
Auf den Filmfestspielen von Venedig erhielt er den Goldenen Löwen. Seitdem werden ihm mehr oder weniger gute Chancen für einen oder mehrere Oscars eingeräumt. Allerdings dauert es bis zur Oscarverleihung noch einige Monate. Außerdem ist der „Joker“ ein Superheldenfilm und die hatten bisher, wie Science-Fiction- und Fantasy-Filme, wenig Glück bei den Oscars.
Bis zu den Nominierungen und Preisverleihungen kann der Verleih sich an den überwiegend positiven Kritiken, den begeisterten Publikumsreaktionen und dem überaus erfreulichem Einspiel – in den USA spielte der Film am Startwochenende über 96 Millionen US-Dollar ein – erfreuen. Außerdem wird über über den Protagonisten, die Gewalt und die Botschaft des Films diskutiert. Denn nichts davon ist wirklich eindeutig und nichts davon wird in dem heute gewöhnlichen Comicfilm-Actionstil präsentiert, in dem alles so unmöglich ist, dass, auch wenn ganze Städte und Galaxien zerstört werden, immer der Entertainment-Aspekt im Vordergrund steht. Wirklich verletzt wird niemand und am Ende gewinnen die Guten.
Spaß hat in „Joker“ niemand.
Das liegt auch daran, dass Todd Phillips in seinem Film nicht von einer weiteren Konfrontation zwischen Batman und dem Superschurken Joker erzählt. Sein Film gehört daher, wenigstens für den Moment, nicht zum DC Extended Universe. So wird das von Warner Bros. Pictures und DC Comics gemeinsam produzierte filmische Universum genannt. Nach einem sehr holprigen Start mit düsteren und ernsten Superheldenfilmen wurde es zuletzt mit „Wonder Woman“, „Aquaman“ und „Shazam!“ besser, unterhaltsamer und vergnüglicher.
„Joker“ knüpft nicht an diese Filme und das DCEU an, sondern er ist als Einzelfilm, der in keiner Verbindung zum DCEU steht, konzipiert. Außerdem erzählt er die Entstehungsgeschichte des Jokers. Im Gegensatz zu anderen Superhelden und Superschurken gibt es nicht die allgemein akzeptierte, kanonisierte Ursprungsgeschichte des Jokers. Eigentlich kennt man den Joker in den Comics und Filmen nur als Superschurken mit einem, ähem, problematischen Sozialverhalten, Lust am Chaos und einem verzerrten Clownsgesicht.
Das eröffnet Todd Phillips (die „Hangover“-Filme, „War Dogs“) die Möglichkeit, seine Version von dem Joker und wie der Joker der Joker wurde zu erzählen, ohne sich um all das Drumherum zu kümmern.
Sein Joker heißt Arthur Fleck. Als wir ihn zum ersten Mal in Gotham City in den frühen 1980er Jahren sehen, wedelt er als Clown auf der Straße mit einem Werbeschild herum, das ihm prompt von einer Bande Jugendlicher geklaut wird. Nach einer Verfolgungsjagd stellen sie ihn in einer Nebengasse, schlagen ihn zusammen und zerstören das Schild. Das Schild wird später von Flecks Gehalt abgezogen.
Gotham City ist hier, wie auch in den Comics, ein Synonym für New York City. Es ist die Stadt, in der Martin Scorseses „Taxi Driver“ und „The King of Comedy“ spielen. Beide Filme wurden schon vor der Premiere als Inspirationen für „Joker“ genannt. Vor allem „The King of Comedy“ ist die immer wieder erkennbare Inspiration für „Joker“. Beide Male geht es um einen erfolglosen Künstler, der von seinem Idol wahrgenommen werden will. Bei Scorsese war Jerry Lewis das Idol und Robert De Niro der fanatische Möchtegern-Komiker. Bei Phillips ist Joaquin Phoenix der bis auf die Knochen abgemagerte Möchtegern-Komiker Arthur Fleck und Robert De Niro, in einer kleinen, aber wichtigen Nebenrolle, der bekannte Late-Night-Gastgeber Murray Franklin.
Bis es zur ersten echten Begegnung zwischen Fleck und Franklin kommt, führt Phillips uns in Flecks Psyche. Er ist ein nicht witziger Komiker, ein Clown zum Fürchten, ein von unerklärlichen Lachkrämpfen geplagter Psychopath, der immer noch bei seiner kränkelnden Mutter lebt und der ewige Verlierer, der höchstens in seiner Fantasie das Mädchen bekommt. Es gibt nichts, was ihn irgendwie auf seine spätere Karriere als Superverbrecher Joker vorbereiten könnte. Auch seine ersten verbrecherischen Taten, wie die Ermordung einiger nerviger Yuppies in der U-Bahn, folgen keinem Plan, sondern sind reine Affekthandlungen. Entsprechend ratlos reagiert er am Ende, wenn aus dem Clown Fleck der Joker wird und ganz Gotham City zum Schauplatz einer Straßenschlacht wird, während in einer Gasse neben einem Kino ein künftiger Superheld geboren wird.
Aber wirklich packend ist diese mit Anspielungen und Zitaten reichhaltig gesegnete Origin Story nie. Dafür ist der Film zu sehr überzeugt von seiner eigenen Bedeutung. Die Geschichte, die vor allem eine zwischen Wahn und Wirklichkeit pendelnde Charakterstudie ist, entwickelt sich zu schleppend und zu unentschlossen. So als habe man gleichzeitig provozieren und niemand provozieren wollen.
Und ich habe Arthur Fleck niemals als künftiges Verbrechergenie gesehen. Er ist von der ersten bis zur letzten Minute, auch wenn dann viele Menschen mit einem Clownsgesicht durch die Stadt marodieren, ein Niemand, der in dem Moment zu einer Projektionsfläche wird. Nur ist unklar für was.
Joker (Joker, USA 2019)
Regie: Todd Phillips
Drehbuch: Todd Phillips, Scott Silver
LV: Charakter von Bob Kane, Bill Finger und Jerry Robinson
mit Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Brett Cullen, Shea Whigham, Bill Camp, Glenn Fleshler, Leigh Gill, Josh Pais, Brian Tyree Henry
Stilsicherer, an das Kino der Siebziger erinnernder, 1988 in New York spielender Polizeithriller über zwei Brüder: der eine folgt der Familientradition und wird Polizist; der andere Discobesitzer und Verbrecher. Jetzt steht der Discobesitzer vor der Frage, ob er vollständig mit seiner Familie brechen soll.
„Helden der Nacht hat alle Ingredienzien eines Genrethrillers. Mehr noch, Gray scheint einigen dieser Klassiker seine Reverenz erweisen wollen. In seinen besten Momenten ruft Helden der Nacht Erinnerungen an die Korruptionsthriller Sidney Lumets oder die dreckigen kleinen Nachtfilme Scorseses wach.“ (epd Film 2/2008)
Mit Joaquin Phoenix, Mark Wahlberg, Eva Mendes, Robert Duvall, Tony Musante
Nicht der Plot (eigentlich ein 08/15-Liebedrama: Leonard lebt, nach mehreren Selbstmordversuchen, wieder in seinem Jugendzimmer. Seine Eltern wollen ihn mit Sandra verkuppeln. Aber er ist in Michelle verliebt.), sondern die Machart ist entscheidend. Und die stimmt bei „Two Lovers“.
Denn „Two Lovers“ ist wie Grays vorherige Filme „Little Odessa“, The Yards – Im Hinterhof der Macht“ und „Helden der Nacht“ hochkarätig besetztes Schauspielerkino ohne einen falschen Ton. Weder im Spiel, noch in der Kameraführung, dem Schnitt, der Ausstattung oder der Musikauswahl. Und keines dieser Elemente drängt in den Vordergrund. Sie alle dienen der Geschichte. Wieder einmal ist Grays Blick für die Details bemerkenswert. Teilweise fallen sie beim ersten Sehen nicht auf, aber alle zusammen machen die Geschichte glaubwürdig. Es sind Kleinigkeiten, wie die Fotowand in der Wohnung der Kraditors, Leonards Jugendzimmer, die kleinen Gesten und Blicke, die in Sekundenbruchteilen alles erklären und Entscheidungen, wie Joaquin Phoenix während eines Geständnisses mit dem Rücken zur Kamera spielen zu lassen, auf einen Schnitt zu verzichten, das Licht in einer besonderen Art zu setzen und eine – teilweise unsichtbare – Zeitlupe einzusetzen.
„Wir sind die Sisters Brothers“ rufen sie durch die Nacht und normalerweise reicht die Nennung ihres Namens, um für klare Verhältnisse zu sorgen. Wenn nicht helfen einige Kugeln nach.
Eli (John C. Reilly) und Charlie Sisters (Joaquin Phoenix) sind psychopathische Killer, die für den Commodore (Rutger Hauer) im Wilden Westen Männer jagen und normalerweise töten. Warum sie diese Männer töten sollen, ist ihnen egal. Jetzt sollen sie Hermann Kermit Warm (Riz Ahmed) töten. Davor soll er ihnen seine Wunderformel zum Goldwaschen verraten. John Morris (Jake Gyllenhaal), der ebenfalls für den Commodore arbeitet, hat sich bereits auf die Suche nach Warm gemacht. Er soll herausfinden, wo Warm sich aufhält und das den Sisters-Brüder sagen. Die Jagd geht dabei von Oregon bis nach Kalifornien, wo um 1851 gerade unzählige Goldsucher und Strauchdiebe nach dem kostbaren Metall suchen.
Beginnen wir mit den netten Paradoxien. In Interviews betont Jacques Audiard, er habe keine Beziehung zu dem Genre. Gedreht wurde der Film in Spanien, Rumänien und Frankreich. Das Geld für den Film stammt aus Frankreich, Spanien, Rumänien, Belgien und, immerhin auch, den USA. Und die Vorlage für den Film schrieb ein Kanadier.
Gestandene Westernfans wird nichts davon sonderlich irritieren. Denn der Western gehört schon lange nicht mehr exklusiv Hollywood und den USA. Wenn gewisse Elemente erhalten bleiben, kann ein Western auch im Weltall spielen. Und spätestens seit den Spaghetti-Western ist klar, dass bei einem Western die Optik wichtiger als der Drehort ist.
Und die stimmt in „The Sisters Brothers“. Der mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie bei den Filmfestspielen von Venedig 2018 ausgezeichnete Film hat alles, was zu einem Western dazu gehört: fotogene Landschaften, viel Sand, Goldsucher, dreckige Männer und Schießereien. Nur die Indianer fehlen. Aber die fehlen auch in fast jedem Hollywood-Western.
Im Roman noch mehr als in Film erscheint der Wilde Westen als eine fast schon überbevölkerte Gegend. Denn ständig treffen die Sisters-Brüder auf andere Menschen. Fast immer enden diese Begegnungen, aus den verschiedensten Gründen, tödlich für die Menschen, die die Sisters-Brüder treffen. Mal weil sie die Sisters-Brüder umbringen wollen, mal weil sie ihnen etwas nicht geben wollen.
Während Charlie Alkohol und andere Drogen in rauen Mengen konsumiert, ist sein älterer Bruder Eli der sensiblere. Er trägt einen Schal, den er von einer Frau erhielt und, nachdem ihm ein Händler eine Zahnbürste verkaufte, pflegt er mit der Sorgfalt eines Kindes, das gerade etwas Faszinierendes entdeckte, seine Zähne. Diese Zahnpflege ist gleichzeitig ein Bote der Zivilisation. Ein Zeichen, dass die gesetzlose Zeit des Wilden Westens langsam endet.
Die beiden Brüder sind dabei wie kleine Kinder, die zwar auf dem Weg von Oregon nach Kalifornien unglaublich viele Menschen umbringen, aber auch immer wieder naiv-staunend durch den Wilden Westen reiten. Man muss diese beiden Psychopathen, wundervoll gespielt von Joaquin Phoenix und John C. Reilly, einfach ins Herz schließen.
Während der Roman von Eli erzählt wird, erhalten im Film John Morris und Hermann Kermit Warm ein größeres Gewicht. Warm ist nicht mehr nur die Person, die Charlie und Eli Sisters jagen, sondern Teil eines eigenen Plots. Gleichzeitig ist Warm als Entrepreneur, der mit seiner Intelligenz und seinen Händen auf ehrliche Weise ein Vermögen aufbauen will, die Verkörperung eines neuen Geistes, der sich deutlich von der Raubrittermentalität des Commodore unterscheidet.
Und so erzählt Jacques Audiard („Ein Prophet“, „Der Geschmack von Rost und Knochen“, „Dämonen und Wunder“) nur auf den ersten Blick eine typische Western-Geschichte mit Pferden und Killern. Auf den zweiten Blick ist es eine vielschichtige, sehr vergnügliche, kurzweilige und witzige Abhandlung über das Erwachsenwerden von zwei Brüdern und einer Gesellschaft. Mit unklaren Erfolgsaussichten, aber einem großen Vergnügen am Unterlaufen der Zuschauererwartungen an einen typischen Western.
The Sisters Brothers(The Sisters Brothers, Frankreich/Spanien/Rumänien/USA/Belgien 2018)
Regie: Jacques Audiard
Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain
LV: Patrick deWitt: The Sisters Brothers, 2011 (Die Sisters Brothers)
mit John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed, Rutger Hauer, Rebecca Root, Carol Kane
Weil Nicole Kidman gerade so oft, mit sehr unsterschiedlichen Filmen im Kino zu sehen ist. „Aquaman“ läuft noch (und hat schon über eine Milliarde eingespielt), „Der verlorene Sohn“ (Boy Erased, mit Lucas Hedges und Russel Crowe, wahre Geschichte über einen Baptistenprediger, der seinen homosexuellen Sohn heilen will, Kinostart am 21. Februar), „Mein Bester & ich“ (The Upside, mit Bryan Cranston und Kevin Hart, US-Remake von „Ziemlich beste Freunde“, Kinostart am 21. Februar) und „Destroyer“ (ein insgesamt sehenswerter Noir-Polizeikrimi von „Aeon Flux“-Regisseurin Karyn Kasuma mit Kidman als extrem taffer, von Dämonen aus ihrer Vergangenheit gejagter Polizistin, Kinostart am 14. März).
Arte, 20.15
To Die For (To Die For, USA 1995)
Regie: Gus Van Sant
Drehbuch: Buck Henry
LV: Joyce Maynard: To die for, 1992 (To die for)
TV-Wetterfee Suzanne Stone Maretto lässt für ihre Karriere Männer über die Klinge springen, bis sie an die Mafia gerät.
Bitterböse Mediensatire. Heute war wahrscheinlich noch aktueller und realistischer als damals.
mit Nicole Kidman, Matt Dillon, Joaquin Phoenix, Casey Affleck, Dan Hedaya, Kurtwood Smith, Buck Henry (als Mr. H. Finlaysson), Joyce Maynard (als Suzannes Anwältin), David Cronenberg, George Segal (jeweils Gastauftritte)
John Callahan trinkt sich in den frühen Siebzigern in Long Beach, Kalifornien, durch den Tag. Als er mit einer Zufallsbekanntschaft von einer wilden Party zu einer noch wilderen Party will, verändert sich sein Leben für immer. Und das ist jetzt nicht Hollywood-Pathos, sondern bittere Realität: Auf dem Weg zur nächsten Party baut der betrunkene Fahrer einen Unfall, den dieser fast unverletzt überlebt. Callahan, der noch betrunkenere Beifahrer, überlebt schwer verletzt. Ärzte können sein Leben retten, aber er ist fast vollständig gelähmt. Er muss bis an sein Lebensende im Rollstuhl sitzen. Auch seine Arme kann er kaum bewegen.
Callahan zieht zurück in seine Geburtsstadt Portland, Oregon. Er trinkt weiter und beginnt zu Malen. Es sind primitive, sarkastisch-schwarzhumorige und immer wieder politisch inkorrekten Cartoons, die zuerst in der örtlichen Tageszeitung abgedruckt werden. Später in den gesamten USA und weltweit.
Am 24. Juli 2010 stirbt der am 5. Februar 1951 geborene John Callahan. Aber diesen Teil, seine letzten Lebensjahre als erfolgreicher Cartoonist, erzählt Gus Van Sant in seinem neuen Film „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ nicht. Er baut seinen konventionell erzählten Feelgood-Film nach dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker auf. Er erzählt Callahans Weg vom Trinker zur Enthaltsamkeit und Selbsterkenntnis. Mit dem AA-Programm hat Van Sant eine sehr einfache und dramaturgisch sehr tragfähige Struktur. Er kann in der Zeit hin und her springen, ohne den Fluss der Erzählung zu unterbrechen und so auch etwas widerständiges Indie-Feeling in einen sehr konventionellen Film bringen. Das AA-Programm gibt auch eine klare dramaturgische Richtung vor: von rauschenden Drogennächte über die verschiedenen Versuche, abstinent zu Leben und anschließend sein Leben immer mehr in Ordnung zu bringen. Dazu gehören auch Callahans Umgang mit seiner Behinderung und sein beginnender Erfolg als Cartoonist. In seinen Zeichnungen setzt er sich auch ohne falsche Scheu, mit ätzendem Humor und Selbstironie mit seiner letztendlich selbst verschuldeten, beschissenen Situation auseinander. Auch ohne das Bild zu kennen, sagt der Filmtitel ‚Keine Panik, er wird zu Fuß nicht weit kommen‘ einiges über Callahans Haltung zu sich und seinem Leben aus. Callahans spiritueller Helfer auf dem Weg zur Selbsterkenntnis ist dabei Donnie. Ein vermögender AAler, der eine kleine Schar von Jüngern um sich gescharrt hat und in seiner Nobelvilla nicht arm wie Jesus lebt, aber sich so benimmt und aussieht.
Mit den Musikerinnen Kim Gordon („Sonic Youth“) und Beth Ditto („Gossip“) und Udo Kier ist Donnies AA-Gruppe prominent besetzt. Callahans Sozialarbeiterin Suzanne wird ebenfalls von einer Indie-Musikerin gespielt: „Sleater-Kinney“-Gitarristin Carrie Brownstein.
Und Donnie, gespielt von Jonah Hill, ist auch kein Unbekannter. Auch wenn er unter seinem Vollbart kaum erkennbar ist. Joaquin Phoenix spielt, gewohnt überzeugend, John Callahan.
In Gus Van Sants Filmographie, die munter zwischen Arthaus, Experimenten und Mainstream-Hollywood-Erzählkino hin und her springt, gehört „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ eindeutig in die letzte Kategorie. Den Ursprung hatte das Projekt vor mehr als zwanzig Jahren. Robin Williams, mit dem Van Sant bei „Good Will Hunting“ zusammen gearbeitet hatte, hatte sich die Rechte an John Callahans Biographie gesichert und er wollte Callahan spielen. Seitdem traf Van Sant sich öfter mit Callahan und arbeitete mit verschiedenen Autoren an verschiedenen Drehbuchversion. Letztendlich baute er das Buchkapitel, in dem Callahan erzählt, wie er seine Alkoholsucht überwand, zum Film aus.
Don’t worry, weglaufen geht nicht (Don’t worry, he won’t get far on foot, USA 2018
Regie: Gus Van Sant
Drehbuch: Gus Van Sant (nach einer Geschichte von John Callahan und Gus Van Sant & Jack Gibson & William Andrew Eatman)
LV: John Callahan: Don’t worry, he won’t get far on foot, 1989 (Don’t worry, weglaufen geht nicht)
mit Joaquin Phoenix, Jonah Hill, Rooney Mara, Jack Black, Mark Webber, Udo Kier, Carrie Brownstein, Beth Ditto, Kim Gordon
Joe (Joaquin Phoenix) ist ein Problemlöser. Sein Arbeitsgebiet ist das Befreien entführter Kinder. Ohne zeitraubende Verhandlungen und ohne das Bezahlen von Lösegeld löst er das Problem. Seine Vorgehensweise ist brachial. Am liebsten erschlägt er mit einem handelsüblichen Hammer seine Gegner und beseitigt danach die Spuren (Kleiner Tipp für Möchtegern-Nachahmer: bei anderen Waffen werden für die CSI-Jungs weniger Spuren hinterlassen).
Sein neuester Auftrag unterscheidet sich zunächst nicht von seinen vorherigen Aufträgen: er soll die halbwüchsige Tochter eines New Yorkers Senators aus einem Bordell, in dem sie festgehalten wird, befreien. Weil gerade Wahlkampf ist, möchte der Politiker Schlagzeilen über seine Tochter vermeiden. Joe soll sie ohne großen Presserummel aus dem Bordell befreien.
Als „A beautiful Day“ letztes Jahr beim Filmfestival in Cannes seine Weltpremiere hatte, erhielt Regisseurin Lynne Ramsay („We need to talk about Kevin“) den Preis für das beste Drehbuch und Joaquin Phoenix wurde als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet.
Auch von der Kritik wird der extrem düstere Thriller abgefeiert.
Für mich ist der Noir ein einziger großer Langweiler; – was auch eine ziemlich perfekte Spiegelung des seelischen Zustandes von Joe ist. Ramsay ist so nah bei Joe, dass wir ihn öfter nicht beobachten, sondern in seinem Kopf sind. Wir sind förmlich gefangen in seiner Welt. Es ist eine brutale Welt. Es ist eine emotionslose Welt, in der sogar unklar ist, ob es überhaupt jemals Emotionen gab, die wieder erweckt werden können. Joe schleppt sich, wie ein Boxer nach einem Kampf, nur noch durch sein Leben. Er ist von früheren Erfahrungen traumatisiert. Sie tauchen als Flashbacks immer wieder auf. Seitdem ist für ihn das Befreien der Kinder aus den Händen von Pädophilen eine Mission. Er lebt immer noch in seinem heruntergekommenen Geburtshaus. Dort lebt er seine Mutter zusammen, die inzwischen all die Gebrechen eines alten Menschen hat und zunehmend pflegebedürftig wird. Er kümmert sich liebevoll um sie. Er ist ein großer Schweiger, der paranoid viel Wert auf seine Anonymität legt – und dann doch, ohne zu Zögern, einen Auftrag in seiner Heimatstadt New York übernimmt. Neben seiner Mutter hat er nur zu seinem Mittelsmann, der ihm seine Aufträge verschafft, eine dauerhafte Beziehung.
Joe ist eine mythische Figur. Ein Racheengel, den es so nur im Film und der Literatur gibt. „A beautiful Day“ ist die Verfilmung von Jonathan Ames‘ hundertseitiger Novelle „You were never really here“.
Schon die Ausgangslage der Geschichte stammt aus einer dystopischen Parallelwelt. Denn warum sollten Bordellbetreiber ausgerechnet Kinder wohlhabender Familien entführen und als Prostituierte gefangen halten? Und warum sollten die anscheinend ehrenwerten und absolut bürgerlichen Eltern der entführten Kinder ausgerechnet Verbrecher um Hilfe bitten? Die Welt in „A beautiful Day“ ist eine „John Wick“-Welt, die in diesen Thrillern mit einer ordentlichen Portion Action und Humor präsentiert wird.
Dagegen ist „A beautiful Day“ konsequent düster, pessimistisch und todernst. Ramsay erzählt ihre sattsam bekannte, arg minimalistische Geschichte als einen assoziativen Albtraum in dem die Erklärungen nur aus den bekannten Genretopoi bestehen, die in Halbsätzen und Bildfetzen als Interpretationshilfen angeboten werden. Ob sie wirklich zusammenpassen ist egal.
In diesem Kontext ist Joes ausführlich geschilderte Beziehung zu seiner Mutter und Ramsays konsequente Vermeidung von Actionszenen ungewöhnlich. Sie verweigert in ihrem Film die Katharsis, die Gewalt in solch düsteren Geschichten ja haben kann. Bei Ramsay bleibt nur die bleierne Leere, die Joes Leben in seiner selbst gewählten Isolation seit Ewigkeiten bestimmt.
A beautiful Day (You were never really here, Großbritannien 2017)
Regie Lynne Ramsay
Drehbuch: Lynne Ramsay
LV: Jonathan Ames: You were never really here, 2013
mit Joaquin Phoenix, Ekaterina Samsonov, Judith Roberts, John Doman, Alex Manette, Alesssandro Nivola, Frank Pando, Vinicius Damasceno
Seitdem der professionelle Briefeschreiber Theodore (Joaquin Phoenix) von seiner Freundin verlassen wurde, verbringt er seine Abend alleine vor dem Computer. Als er auf seinem Computer seinen persönlichen, virtuellen Begleiter installiert, verliebt er sich sofort in ihre Stimme (Scarlett Johansson im Original) und beginnt eine Beziehung mit ihr.