
Island:
396.960 Einwohner (da hat Bochum deutlich weniger und der Berliner Bezirk Pankow über zehntausend Einwohner mehr)
Größe der Insel: 103.000 Quadratkilometer
Bevölkerungsdiche: 4 Einwohner pro km² – oder, anders ausgedrückt: Island ist in Europa der am dünnsten besiedelte Staat
Die Verbrechensrate ist sehr niedrig. Im Durchschnitt werden auf der Insel zwei Morde pro Jahr verübt. Manchmal gibt es innerhalb eines Jahres keinen einzigen Mord. Nach Vergleichsrankings ist Island das sicherste Land der Welt.
Die Zahl der jährlich verübten Morde ist natürlich nur für Journalisten und Wissenschaftler interessant. Autoren fiktionaler Geschichten müssen sich, zum Glück für das verbrechensgierige Lesepublikum, nicht darum kümmern. Denn dann gäbe es in Island höchstens einen Krimiautor, der auch nur alle zwei Jahre einen Krimi veröffentlichen darf. Serienkiller wären, wegen der vielen von ihnen verübten Morde, tabu.
Satu Rämö kümmert sich, wie ihre isländischen Autorenkollegen, nicht um diese Zahlen. „Die Spur im Fjord“, ihr erster Roman mit ihrer Kriminalpolizistin Hildur Rúnarsdóttir, erschien 2022; die deutsche Übersetzung 2023. „Das Grab im Eis“ und „Der Schatten des Nordlichts“ folgten. In ihrem vierten und somit neuesten Roman „Hildur – Die Toten am Meer“ muss ihre Serienheldinn Hildur gleichzeitig mehrere Fälle aufklären. Harmlos sind die Einbrüche in leer stehende Ferienhäuser. Dazu kommen noch ungefähr ein halbes Dutzend Morde. Und ein alter Fall. Und der seltsame Tod eines Babys. Oh, und ein Mann stolpert mit einem blutverschmierten Gesicht von einem Touristenschiff.
Das sind viele Fälle, von denen am Ende auch einige, mehr oder weniger, miteinander zusammenhängen und, was quasi unvermeidbar bei den wenigen Inselbewohnern ist, die Kommissarin kennt einige der Verdächtigen gut. Ein Fall wird ihr sogar aus der Hand genommen. Die vier Menschen, die vor Jahrzehnten in der Erde vergraben wurden, wurden auf dem Hof von Hildurs Eltern vergraben. Ihre toten Eltern könnten etwas mit den Toten zu tun haben.
Wer die Toten sein könnten und warum sie dort vergraben wurden, wird in zahlreichen, in den Neunzigern spielenden Rückblenden, in denen es vor allem um das Leben von Hildurs Eltern geht, angedeutet.
Auf „Die Toten am Meer“ trifft die Kritik zu, die schon zu ihrem ersten Kriminalroman „Die Spur im Fjord“ geäußert wurde. Im Umkehrschluss heißt das: wem die vorherigen Hildur-Romane gefielen, dürfte auch der neueste Hildur-Roman gefallen.
Die Ermittlungen erfolgen hauptsächlich in der Form von Infodumps. Selten begleiten wir die Ermittler bei ihrer Arbeit. Oft erzählen sie sich gegenseitig, was sie ermittelten. Manchmal endet ein Kapitel mit einer für die Ermittlungen wichtigen Entdeckung. Später erzählt dann der eine Ermittler dem anderem, was er entdeckte und was er danach unternahm. Das ist nur mäßig spannend.
Es gibt zu viele Fälle, die sich dann gegenseitig im Weg stehen und teilweise über viele, sehr viele Seiten aus der Geschichte verschwinden. Der mögliche Mord an dem Baby verschwindet sogar vollkommen aus der Geschichte; oder er wurde in einem von mir überlesenem Halbsatz aufgeklärt. Die Rückblenden in das Leben von Hildurs Mutter Rakel (gleichzeitig der doch etwas in die Irre führende Originaltitel) haben mit den aktuellen Fällen nichts zu tun; – der Krimifan hofft natürlich auf einen Zusammenhang und sucht begierig in jeder Rückblende nach entsprechenden Hinweisen. Die für die Lösung nicht vollkommen unwichtigen Einbrüche werden zum ersten Mal wenige Seiten vor der Buchmitte erwähnt. Sowieso gelingt Rämö nie eine vernünftige Balance zwischen den verschiedenen, ungefähr gleich wichtigen Fällen und dem Privatleben der Hauptfiguren zu finden.
Und damit kämen wir zum letzten Punkt: Es gibt zu viele belanglose Informationen über das Privatleben von Hildur und ihrem Kollegen Jakob. Auch das ist nur mäßig spannend, aber die Zeiten von Columbo und anderen Ermittlern, über deren Privatleben wir nichts wissen (und das auch nie vermissten), sind vorbei. Zur Erinnerung: Columbo hat den Vornamen Lieutenant und es ist immer noch unklar, ob er wirklich verheiratet ist oder seine Frau nur aus ermittlungstaktischen Gründen gegenüber den Verdächtigen erwähnt.
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Satu Rämö: Hildur – Die Toten am Meer
(übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara)
Heyne, 2025
368 Seiten
16 Euro
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Originalausgabe
Rakel
Werner Söderström Ltd (WSOY), Helsinki, 2024
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Die Lesetour (weitere Informationen und Möglichkeit, ein Ticket zu kaufen)
Montag, 27. Oktober 2025, Lüneburg, 20.00 Uhr, Lüneburger Krimifestival
Dienstag, 28. Oktober 2025, Braunschweig, 19.30 Uhr, Braunschweiger Krimifestivals
Mittwoch, 29. Oktober 2025, Hannover, 19.30 Uhr
Donnerstag, 30. Oktober 2025, Berlin, 18.00 Uhr
Donnerstag, 6. November 2025 – Sonntag, 9. November 2025, viertägige Literatur Cruise von Travemünde nach Helsinki und zurück
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Hinweise
Heyne über Satu Rämö
Krimi-Couch über Satu Rämö
Wikipedia über Satu Rämö (englisch)
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