DVD-Kritik: Der/Die Oscar-Gewinner*in „Eine fantastische Frau – Una Mujer Fantastica“

März 12, 2018

In „Eine fantastische Frau – Una Mujer Fantastica“ gibt es eine Überraschung, die; – nun, auch wenn ich glaube, dass sie inzwischen allgemein bekannt ist und deshalb keine Überraschung ist, möchte ich niemand die Überraschung bei dem tollen Film verderben.

Und, dieser Hinweis sei gestattet, das noch (?) aktuellen DVD-Cover führt gewaltig in die Irre. Denn „Eine fantastische Frau“ ist nicht für den „Oscar als bester ausländischer Film“ nominiert, sondern seit der Oscar-Verleihung ist „Eine fantastische Frau“ der beste ausländische Film des Jahres.

In seinem neuen Film erzählt „Gloria“-Regisseur Sebastián Lelio die Geschichte von Marina Vidal, einer 27-jährigen Kellnerin und Sängerin. Sie lebt im heutigen Santiago de Chile zusammen mit Orlando, einem deutlich älteren Mann, der Chef eines Textilunternehmens ist. Eines Nachts wacht der 57-jährige mit Schmerzen auf und stirbt kurz darauf im Krankenhaus an einem Aneurysma.

Danach hat Marina all die Probleme, die man hat, wenn man zwar mit einem anderen Menschen zusammenlebte, aber nicht mit ihm verheiratet war und es kein Testament gibt. Orlandos Familie und Orlandos Ex-Frau hassen die junge Frau buchstäblich. Sie wollen sie möglichst schnell aus der gemeinsam benutzten Wohnung haben und selbstverständlich soll alles, was Orlando gehörte, in den Händen seiner Familie und seiner Ex-Frau landen. Auch bei der Totenwache und der Beerdigung verzichtet man gerne auf die junge Geliebte, die so gar nicht dem gesellschaftlichen Stand des Verstorbenen entspricht.

Gleichzeitig vermutet eine äußerst penetrante Sitten-Polizistin, dass Orlandos Tod kein natürlicher Tod war. Schließlich kenne sie aus ihrer Arbeit genug Beziehungstaten. Vor allem wenn die jüngere Geliebte aus dem Milieu kommt.

In all dem Chaos versucht Marina Orlandos Andenken zu bewahren und für sie in einer angemessenen Form zu trauern. Dazu gehören natürlich Besuche bei den Trauerfeiern ihres Geliebten.

Lelio konzentriert sich in seinem nah an den Konventionene des klassischen Hollywood-Erzählkinos erzähten Film auf Marina und ihre Versuche, mit der Situation umzugehen.

Sie wird von der Sängerin Daniela Vega gespielt. Vega spielte vorher nur in einem kleineren Film mit und trat im Theater auf. Vor allem in einem lange laufendem autobiographischem Stück über ihre Transsexualität. Als Lelio mit den Arbeiten an dem Drehbuch für „Eine fantastische Frau“ begann, unterhielt er sich lange mit Vega über ihre Erfahrungen und die Situation von Transsexuellen in Chile. Denn, wie Lelio im interessanten 33-minütigem „Making of“ bekennt, er selbst hatte davon keine Ahnung und kannte auch keine Transsexuellen. Er hielt es nur für eine gute Idee im Rahmen der Filmgeschichte. Als der erste Drehbuchentwurf fertig war, bot er ihr die Hauptrolle an, die sie mit Bravour meistert. Sie ist in fast jeder Szene des Dramas zu sehen. Sie spielt, was man im Film erst langsam erfährt, nicht nur eine trauernde Frau, sondern eine Trauernde, die vorher ein Mann war und deren Geschlechtsumwandlung vor allem in Orlandos Familie auf abgrundtiefen Hass trifft. Zum Glück gehen Marinas Freunde und Bekannten wesentlich entspannter mit ihrer Transsexualität um. Sie nehmen sie als ganz normalen Menschen mit Bedürfnissen und Nöten wahr.

Auch Lelio thematisiert Marinas Transsexualität nur in wenigen Worten und Halbsätzen. Es geht ihm um den Umgang mit dem Verlust eines geliebten Menschen. Wenn, wie zwischen Marina und Orlando eine tiefe, reine Liebe bestand, die sich nicht um irgendwelche Grenzen und Konventionen kümmerte, ist dieser Verlust besonders groß. Und dann ist es besonders schwer, mit dem Verlust des Geliebten umzugehen.

Lelio erzählt diese Geschichte sehr feinfühlig und ruhig als Porträt einer Frau, die um einen würdigen Abschied von der Liebe ihres Lebens und um Anerkennung kämpft.

Auf der Berlinale 2017 erhielt „Eine fantastische Frau“ den Silbernen Bären für das beste Drehbuch, den Teddy Award als bester Spielfilm und den Preis der ökomenischen Jury. Seitdem erhielt der Film weitere Preise, war für den Golden Globe als bester Film nominiert und erhielt jetzt, wie schon gesagt, den Oscar als bester ausländischer Film des Jahres. Vollkommen zu Recht.

Die DVD enthält als Bonusmaterial ein informatives 33-minütiges Making of und ein ebenso informatives zwölfseitiges Booklet mit Interviews mit Sebastián Lelio, Daniela Vega und Francisco Reyes („El Club“), der Orlando spielt.

Eine fantastische Frau – Una Mujer Fantastica (Una Mujer Fantastica, Chile//USA/Deutschland/Spanien 2017)

Regie: Sebastián Lelio

Drehbuch: Sebastián Lelio, Gonzalo Maza

mit Daniela Vega, Francisco Reyes, Luis Gnecco, Aline Küppenheim, Nicolás Saavedra, Amparo Noguera, Trinidad González, Néstor Cantillana, Alejandro Goic, Antonia Zegers

DVD

good! Movies/Piffl Medien

Bild: 16:9 (2.39:1)

Ton: Deutsch, Spanisch, Audiodeskription (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch, Deutsch für Hörgeschädigte

Bonusmaterial: Making of, Kinotrailer, Booklet

Länge: 100 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Eine fantastische Frau“

Metacritic über „Eine fantastische Frau“

Rotten Tomatoes über „Eine fantastische Frau“

Wikipedia über „Eine fantastische Frau“ (deutsch, englisch)

Berlinale über „Eine fantastische Frau“

Meine Besprechung von Sebastián Lelios „Gloria“ (Gloria, Spanien/Chile 2012)

Der RBB-Nighttalk mit Daniela Vega und Francisco Reyes

Teddy Awards unterhält sich mit Sebastián Lelio, Daniela Vega und Francisco Reyes

AFI-Gespräch mit Sebastián Lelio und Daniela Vega

DP/30 mit Sebastián Lelio und Daniela Vega


TV-Tipp für den 12. März: Der Kommissar und sein Lockvogel

März 12, 2018

Arte, 20.15

Der Kommissar und sein Lockvogel (Dernier domicile connu, Frankreich/Italien 1969

Regie: José Giovanni

Drehbuch: José Giovanni

LV: Joseph Harrington: The last known Address, 1965

Kommissar Leonetti soll in wenigen Tagen einen seit fünf Jahren verschwundenen Zeugen finden.

Ein eher selten gezeigter Klassiker des Polizeifilms. Giovanni zeigt ohne gefällige Lösungen die zermürbende Arbeit eines Polizisten. Besonders das Ende ist in seiner bitteren Konsequenz grandios.

„Mich reizte die Idee, einen Bullen zu zeigen, der zu Fuß durch die Stadt marschiert, der weder einen schnellen Schlitten fährt, noch dieses ganze Theater wahrnimmt, das man im Kino immer sieht. Aus diesem Grund habe ich diesen Film gemacht, als Gegensatz zu allem, was existiert. Das war übrigens auch schon im Buch von Harrington, der früher selbst Polizist war.“ (José Giovanni)

Mit Lino Ventura, Marlène Jobert, Michel Constantin

Auch bekannt als „Tödliche Frist“ und „Letzter bekannter Wohnsitz“ (unter dem Titel war der Film im Kino angekündigt)

Wiederholung: Mittwoch, 14. Mär7, 14.05 Uhr

Hinweise

Schnitt über „Der Kommissar und sein Lockvogel“

Wikipedia über „Der Kommissar und sein Lockvogel“ (deutsch, englisch, französich) und José Giovanni (deutsch, französich)

Meine Besprechung des Films “Die Abenteurer” (nach einem Buch von José Giovanni, mit Lino Ventura)

Kriminalakte über José Giovanni und Lino Ventura


TV-Tipp für den 11. März: Endstation Schafott

März 11, 2018

Arte, 20.15

Endstation Schafott (Deux Hommes dans la ville, Frankreich/Italien 1973)

Regie: José Giovanni

Drehbuch: José Giovanni

Starkes Krimidrama über einen Ex-Sträfling, der ein ehrliches Leben führen will, von einem Sozialhelfer unterstützt und einem Polizisten verfolgt wird.

Mit Alain Delon, Jean Gabin, Mimsy Farmer, Michel Bouquet, Bernard Giraudeau, Gérard Depardieu (in einer Nebenrolle als junger Gangster)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Endstation Schafott“

Wikipedia über „Endstation Schafott“ (deutsch, englisch, französisch) und José Giovanni (deutsch, englisch, französisch)

Krimi-Couch über José Giovanni


Neu im Kino/Filmkritik: „Molly’s Game – Alles auf eine Karte“ setzen und Ärger bekommen

März 10, 2018

Sie organisierte Pokerspiele.

Sie wurde dafür vom FBI verhaftet.

Sie sah einer absurd hohen Haftstrafe entgegen, weil sie illegale Glücksspiele organisiert hatte. In mehreren Bundesstaaten. Mit Verbindungen zu russischen Mafiosi.

Ihr Fall ging auch durch die deutsche Presse und ihre Biographie „Molly’s Game“ wurde auch ins Deutsche übersetzt. Nicht, weil wir Deutschen uns so wahnsinnig für illegales Glücksspiel interessieren, sondern weil Molly Bloom ihren persönlichen Glamour-Faktor als junge, gutaussehende Frau und, bis zu einem unglücklichen Unfall während eines Qualifizierungswettbewerbs für die 2002er Winter-Olympiade, US-Olympiahoffnung im Skispringen, mühelos mit den Teilnehmern der von ihr organisierten Pokerrunden toppen konnte. Hollywood-Stars, wie Tobey Maguire (das nicht ausdrücklich bestätigte Vorbild für Spieler X im Film), Leonardo DiCaprio und Ben Affleck, und die üblichen Verdächtigen, wohlhabende Geschäftsleute, Sportler, und Mafiosi, gehörten zu den Teilnehmern der von hr organisierten Pokerspiele. Die Spieleinsätze gingen in die Millionen. Der höchste Verlust, den Bloom sah, waren einhundert Millionen Dollar, die der Spieler am nächsten Tag bezahlte.

2014 erschien die Biographie der am 21. April 1978 in Colorado geborenen Molly Bloom, in dem sie erzählt, wie es dazu kam, dass eine gescheiterte Sportlerin im großen Stil illegale Glücksspiele organiserte. Das Buch endet mit ihrer Verhaftung durch das FBI.

Schon vor dem Erscheinen des Buches wurde sie zu einer deutlich geringeren Haftstrafe verurteilt.

Aaron Sorkin verfilmte jetzt diese Geschichte. Sein Regiedebüt basiert, wenig verwunderlich, auf einem von ihm geschriebenem Drehbuch, das sich einige Freiheiten nimmt. Vor allem bei den Pokerspielern, bei Blooms Anwalt und im Film ist ihr Buch aus dramaturgischen Gründen vor der Urteilsverkündung erschienen.

Sorkin erzählt in seinem Film Blooms Geschichte auf zwei Ebenen: in der Gegenwart versucht sie (Jessica Chastain) ihren Anwalt Charlie Jaffey (Idris Elba) zu überzeugen, sie zu verteidigen und, nachdem sie ihn überzeugt hat, erzählt sie ihm, wie aus einer streng erzogenen Hochleistungssportlerin, die 2003 nach Los Angeles zog, um nach einer kurzen Pause Jura zu studieren, die sehr erfolgreiche Organisatorin von illegalen Pokerspielen wurde. Dies wird in Rückblenden gezeigt. Jaffey möchte auch wissen, warum sie keinen Deal mit dem FBI abschließen möchte. Dafür müsste sie nur kooperieren und die Namen der Pokerspieler verraten.

Sorkin ist einer der bekanntesten Hollywood-Autoren. Die TV-Serie „The West Wing“ und Filme wie „Der Krieg des Charlie Wilson“, „The Social Network“ und „Steve Jobs“ gehen auf sein Konto. Er ist ein Meister des Dialogs und der unglaublichen Verdichtungen. Auch sein Regiedebüt „Molly’s Game“ erzählt in hundertvierzig Minuten mehr, als andere Regisseure in einer zehnstündigen Miniserie. Schon die ersten Minuten, in denen Molly Bloom ihr bisheriges Leben bis zu dem tragischen Skiunfall zusammenfasst und den Unfall erklärt, während die Bilder das Erzählte illustrieren, erklären und vertiefen, sind furios. Sie sind so furios, dass die Frage, wie Sorkin dieses Erzähltempo bis zum Filmende durchhalten will, berechtigt ist. Es gelingt ihm mühelos. Es gelingt ihm sogar, dass man die Spielstrategien beim Pokern nachvollziehen kann, ohne irgendeine Ahnung vom Spiel zu haben.

Und gerade weil „Molly’s Game“ durchgehend auf einem so hohen Niveau erzählt ist, fallen zwei wichtige Szenen, die in jedem anderen Film nicht negativ auffallen würden, hier negativ auf. Beide Szenen sind am Ende des Films. Einmal ist es ein eruptiver Ausbruch von Mollys Anwalt Jaffey, der in einem Plädoyer mündet. Einmal ist es ein Gespräch zwischen Molly und ihrem Vater (Kevin Costner) auf einer Parkbank in New York, in dem der klinische Psychologe eine Fünf-Minuten-Schnelltherapie durchführt.

Natürlich ist „Molly’s Game“ ein textlastiger Film, der vor allem in anonymen Hinter- und Hotelzimmern, in denen die Spiele stattfanden, spielt. Aber Sorkins Monologe und Dialoge sind fantastisch. Die Schauspieler ebenso. Visuell und optisch wird auch so viel herausgeholt, dass es niemals langweilig wird. Die 140 Minuten vergehen wie im Flug, den man anschließend gerne wieder bucht, um dann all die Details mitzubekommen, die man beim ersten Mal kaum erfassen konnte.

Molly’s Game – Alles auf eine Karte (Molly’s Game, USA 2017)

Regie: Aaron Sorkin

Drehbuch: Aaron Sorkin

LV: Molly Bloom: Molly’s Game: The True Story of the 26-Year-Old Woman Behind the Most Exclusive, High-Stakes Underground Poker Game in the World, 2014 (Molly’s Game)

mit Jessica Chastain, Idris Elba, Kevin Costner, Michael Cera, Jeremy Strong, Chris O’Dowd, Bill Camp, Brian d’Arcy James, Graham Greene

Länge: 140 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Molly’s Game“

Metacritic über „Molly’s Game“

Rotten Tomatoes über „Molly’s Game“

Wikipedia über „Molly’s Game“ (deutsch, englisch)

History vs. Hollywood über „Molly’s Game“

DP/30 redet mit Aaron Sorkin über den Film

DP/30 redet mit Jessica Chastain über den Film

DP/30 redet mit Idris Elba über den Film

Bei der TIFF-Pressekonferenz  beantworteten Aaron Sorkin und Jessica Chastain Fragen

Bei der UK-Pressekonferenz war Idris Elba dabei

 


TV-Tipp für den 10. März: Paris, Texas

März 10, 2018

3sat, 20.15

Paris, Texas (Deutschland/Frankreich 1984)

Regie: Wim Wenders

Drehbuch: Sam Shepard

Nachdem Travis vier Jahre spurlos verschwunden war, kehrt er zurück. Sein achtjähriger Sohn Hunter ist inzwischen bei seinem Bruder in Los Angeles. Seine Frau Jane ist in Houston. Travis macht sich Hunter auf die Suche nach ihr.

In Cannes erhielt Wenders für „Paris, Texas“ die Goldene Palme. Auch an der Kinokasse war „Paris, Texas“, trotz seiner moralisch abstrusen Geschichte, ein Erfolg. In Deutschland sahen sich über eine Million Menschen den Film an.

Ry Cooder schrieb die spartanische Musik. Robby Müller fand die einprägsamen Americana-Bilder, in denen die USA ein Sehnsuchtsort ist und die Mutter-Kind-Zusammenführung von Travis, dem letzten Cowboy, der wortkarg seine Mission erledigt, als logisch erscheint.

Einer von Wim Wenders‘ schönsten und besten Filmen.

Anschließend, um 22.35 Uhr, zeigt 3sat die fünfzigminütige Doku „Harry Dean Stanton“ (Schweiz 2014).

mit Harry Dean Stanton, Natassja Kinski, Hunter Carson, Aurore Clement, Dean Stockwell, Bernhard Wicki

Hinweise

Filmportal über „Paris, Texas“

Rotten Tomatoes über „Paris, Texas“

Wikipedia über „Paris, Texas“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Wim Wenders’ “Hammett” (Hammett, USA 1982)

Meine Besprechung von Wim Wenders/Juliano Ribeiro Salgados “Das Salz der Erde” (The Salt of the Earth, Frankreich/Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Every thing will be fine“ (Deutschland/Kanada/Norwegen/Schweden 2015)

Meine Besprechung von Wim Wenders‘ „Die schönen Tage von Aranjuez“ (Les beaux jours d‘ Aranjuez, Deutschland/Frankreich 2016)

Wim Wenders in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: Harry Dean Stanton ist „Lucky“

März 9, 2018

Realismus ist eine Sache! Es ist die Praxis, eine Situation so zu akzeptieren, wie sie ist, und die Bereitschaft entsprechend mit ihr umzugehen!

Lucky

Hauptrollen übernahm er fast nie. Preise erhielt er ebenfalls fast nie und trotzdem war Harry Dean Stanton einer der großen Charakterdarsteller des US-Kinos und einer der wenigen Nebendarsteller, die man sofort erkannte und deren Namen man kannte. Er spielte auch in einigen Klassikern mit. „Alien“, „Die Klapperschlange“, „Repo Man“, etliche Filme von David Lynch und, natürlich, „Paris, Texas“ fallen einem sofort ein. Als er von Wim Wenders für „Paris, Texas“ als Hauptdarsteller engagiert wurde, war er schon Jahrzehnte im Geschäft. Trotzdem war es seine erste Hauptrolle.

Jetzt übernahm Harry Dean Stanton wieder die Hauptrolle und sie wurde sein Vermächtnis. „Lucky“ ist Stantons Quasi-letzter-Film. Das lakonische Drama hatte seine Premiere am 11 März 2017 auf dem South by Southwest Film Festival. Danach lief der Film auf etlichen Filmfestivals. Am 15. September 2017 starb Stanton mit 91 Jahren. Ohne „Lucky“ gesehen zu haben. Nach seinem Tod gab es die Premiere der neuesten „Twin Peaks“-Staffel und der Spielfilm „Frank and Ava“, bei dem er mitspielt, befindet sich in der Post-Produktion.

In dem Regiedebüt „Lucky“ von Schauspieler John Carrol Lynch („Fargo“, „Zodiac“, „The Founder“, „American Horror Story“) spielt Stanton den titelgebenden Lucky. In mehr oder weniger, großen, immer prägnanten Nebenrollen sind David Lynch (als Howard, der Besitzer der hundertjährigen Landschildkröte Präsident Roosevelt), Ed Begley Jr. (als Arzt), Tom Skerritt (als Kriegsveteran), Barry Shabaka Henley (als Diner-Besitzer Joe), Ron Livingston (als Anwalt), James Darren (nach 17-jähriger Leinwandabstinenz) und Beth Grant (als Barbesitzer-Paar) dabei. Einige sind schon lange mit Stanton befreundet, die anderen mit Lynch.

Dass der ikonische Nebendarsteller Stanton die Hauptrolle übernahm, war in diesem Fall fast unvermeidbar. Denn die Drehbuchautoren Logan Sparks und Drago Sumonja schrieben die Rolle für Stanton. Sparks ist ein langjähriger Freund von Stanton. Sie ließen in ihre Charakterstudie viel von Stantons Persönlichkeit, Weltsicht und Humor einfließen. So stammt beispielsweise der verbale Schlagabtausch zwischen Lucky und Joe aus Stantons Leben. Dort hatte er den „Du bist nichts. – Du bist auch nichts.- Danke.“-Schlagabtausch immer mit einem Angestellten des Ago Restaurant in Los Angeles.

Lucky ist ein neunzigjährigen Einzelgänger, der nicht an Gott glaubt, täglich eine Packung Zigaretten raucht und belesener Fan von Game Shows und Kreuzworträtseln ist. Er lebt allein in seinem spartanisch eingerichtetem, perfekt aufgeräumtem Haus in einem Wüstenkaff, in dem die Menschen aus unterschiedlichen Kulturen stammen und friedlich zusammenleben. Die Tage vergehen in einem gemütlichen Einerlei. In jedem Bild, jeder Geste und fast jedem Gespräch – immerhin muss Lucky nach einem Zusammenbruch auch einmal zum Arzt und er trifft in seinem Diner einen durchfahrenden Vietnam-Veteran, mit dem er sich über seine Kriegserlebnisse austauscht – ist die Routine mit ihren festen Ritualen spürbar. Lucky muss nicht sagen, dass er in Joes Diner einen festen Sitzplatz hat. Er muss nur einen Blick auf die Person werfen, die auf seinem Platz sitzt und wir wissen, dass ihm dieser Bruch seiner täglichen Routine nicht gefällt. In den Dialogen werfen die Gesprächsteilmer sich so lässig die Bälle zu, dass schon beim ersten Hören klar ist, dass sie diese Geschichten schon tausendmal vor dem gleichen Publikum erzählten, dass sie diese Gespräche schon tausendmal hatten und dass sie diese Gespräche und verbalen Schlagabtäusche immer noch genießen.

Aber dann gibt es die kleinen Veränderungen in der Routine. Eine Landschildkröte verschwindet. Lucky begreift, nachdem er in seiner Küche bei seinen morgendlichen Eiskaffee umkippt, dass sein Leben endlich ist und dass er, obwohl er sich immer als Einzelgänger sah, ein Teil der Dorfgemeinschaft ist und die Dorfgemeinschaft aufeinander aufpasst.

John Carrol Lynch inszenierte diese Charakterstudie als lakonische Liebeserklärung an Harry Dean Stanton, der hier noch einmal sein Können zeigt und am Ende langsam aus dem Bild geht.

Lucky“ ist eine großartige Abschiedsvorstellung von Harry Dean Stanton, einem Schauspieler, der als Nebendarsteller unzählige unprätentiöse und genau deshalb einprägsame Auftritte hatte und der sich mit einer Hauptrolle verabschiedet.

Lucky (Lucky, USA 2017)

Regie: John Carrol Lynch

Drehbuch: Logan Sparks, Drago Sumonja

mit Harry Dean Stanton, David Lynch, Ron Livingston, Ed Begley Jr., Tom Skerritt, Beth Grant, Yvonne Huff, Hugo Armstrong

Länge: 88 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Lucky“

Metacritic über „Lucky“

Rotten Tomatoes über „Lucky“

Wikipedia über „Lucky“ (deutsch, englisch)

John Carroll Lynch über seinen Film

Harry Dean Stanton über „Paris, Texas“ und das Schauspielen (The Hollywood Reporter, 2013)


TV-Tipp für den 9. März: Gesetz der Straße – Brooklyn’s Finest

März 9, 2018

3sat, 22.35/HR, 00.00

Gesetz der Straße – Brooklyn’s Finest (USA 2009, Regie: Antoine Fuqua)

Drehbuch: Michael C. Martin

Hochkarätig besetzter Ensemblefilm über drei Polizisten, die versuchen in Brooklyn ihren Weg zu gehen: der eine wartet nur noch auf seine Pensionierung, der andere will einen Undercover-Einsatz beenden und muss dafür einen Freund verraten, der dritte will Geld für seine Familie besorgen und geht dafür über Leichen.

Die Geschichten mögen etwas zu sehr die bekannten Cop-Film-Klischees bedienen, aber insgesamt ist „Brooklyn’s Finest“ ein sehenswerter, vor Ort gedrehter Cop-Film und damit auch eine Bestandsaufnahme der Gesellschaft.

mit Richard Gere, Don Cheadle, Ethan Hawke, Wesley Snipes, Vincent D’Onofrio, Will Patton, Lili Taylor, Ellen Barkin, Brían F. O’Byrne, Michael K. Williams

Wiederholung: Samstag, 10. März, HR, 03.35 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Gesetz der Straße“

Rotten Tomatoes über “Gesetz der Straße”

Metacritic über “Gesetz der Straße”

Wikipedia über “Gesetz der Straße” (deutsch, englisch)

The Root: Interview mit Michael C. Martin über „Brooklyn’s Finest“

Go into the Story: Interview mit Michael C. Martin über „Brooklyn’s Finest“

Variety über Michael C. Martin (10. Juni 2008)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Training Day” (Training Day, USA 2001)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Gesetz der Straße – Brooklyn’s Finest” (Brooklyn’s Finest, USA 2009)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Olympus has fallen – Die Welt in Gefahr” (Olympus has fallen, USA 2013)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “The Equalizer” (The Equalizer, USA 2014)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Southpaw” (Southpaw, USA 2015)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas „Die glorreichen Sieben“ (The Magnificent Seven, USA 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Bruce Willis hat (k)einen „Death Wish“

März 8, 2018

Nach „Extraction“, „Precious Cargo“, „Marauders“, „Once Upon a Time in Venice“, „Acts of Violence“ und „First Kill“ (demnächst bei uns auf DVD) ist mit „Death Wish“ endlich wieder ein Bruce-Willis-Film in unseren Kinos. Sein letzter Kinoauftritt war 2016 in „Rock the Kasbah“ (2015). In der Komödie hatte er nur eine Nebenrolle und niemand ging wegen ihm in den Film. Naja, eigentlich ging niemand in den Film. Davor spielte er in „Vice“ und „The Prince – Only God Forgives“ mit. Zwei weitere vergessenswerte Straight-to-DVD-Filme. Und dann sind wir bei „Sin City 2: A Dame to Kill For“ (nur eine Nebenrolle), „R.E.D. 2 – Noch Älter. Härter. Besser.“, „G.I. Joe – Die Abrechnung“ (wieder nur eine Nebenrolle) und „Stirb langsam – Ein guter Tag zum Sterben“ die zwar im Kino liefen, aber Schrott waren.

Das ist die aktuelle, erschreckend dürftige filmische Bilanz von dem großen (dem größten?) Actionstar der späten achtziger und neunziger Jahre, der mit John McClane einen neuen Actionhelden erfand und der damals zwischen seine Blockbuster-Actionfilme etliche kleinere Filme schob, in denen er sich als Schauspieler beweisen konnte. Damals freute man sich auf den neuen Bruce-Willis-Film. Auch die misslungen waren wenigstens interessant. Seine aktuelle Filmographie ist dagegen randvoll mit Filmen, die schon vor dem Drehstart uninteressant sind und in denen er lustlos seine Gage abgreift.

Da ist „Death Wish“ auf den ersten Blick etwas interessanter. Die Vorlage, der Roman „Ein Mann sieht rot“ (Death Wish) von Brian Garfield, ist ein Klassiker. Die Verfilmung von Michael Winner ebenfalls. Die Fortsetzungen und zahlreichen Kopien des Selbstjustiz-Thrillers sind meistens reaktionärer Müll. Joe Carnahan schrieb das Drehbuch. Er schrieb auch das Drehbuch für den Polizeithriller „Das Gesetz der Ehre“ und führte Regie bei „Narc“ und „The Grey – Unter Wölfen“. Die Regie übernahm dann Toture-Porn-Horrorregisseur Eli Roth.

Trotz Warnsignalen – Eli Roth ist wahrlich nicht für seine subtilen gesellschafts- und soziopolitischen Kommentare bekannt und Brian Garfield beschwerte sich schon bei Winners Verfilmung, dass der sein Anliegen falsch verstanden habe – könnte dieser Film vielleicht kein guter, aber immerhin ein interessanter Film werden.

Am Ende ist „Death Wish“ klassisches Straight-to-DVD-Futter, das in dem Rahmen als schnöder 08/15-Selbstjustiz-Thriller okay wäre, wenn er sich nicht neben Garfields Roman und Winners Film stellen würde. Leider ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung davon zu haben, was das Thema, die Aussage, der gesellschaftliche Hintergrund und das schockierende an „Ein Mann sieht rot“ war. Kleiner Hinweis: es war nicht die Selbstjustiz. Die gibt es in jedem zweiten Western.

Die Story, die auch für die aktuelle Verfilmung kaum verändert wurde, dürfte ja bekannt sein. Roths Version spielt in Chicago, dem neuen Hort des Verbrechens. Denn New York, der Handlungsort des ersten „Ein Mann sieht rot“-Films, ist heute eine fast schon langweilig heimelige Stadt. Paul Kersey (im Roman Paul Benjamin) arbeitet als Arzt im Krankenhaus. Er ist glücklich verheiratet. Die Tochter geht demnächst auf die Universität. Er selbst ist ein Gewalt ablehnender Liberaler; – jedenfalls soweit das in dem Film erkennbar ist.

Eines Abends dringen Einbrecher in sein Haus ein. Sie töten seine Frau und misshandeln seine Tochter. Anschließend liegt sie im Koma. Und bei Kersey erwacht, nach der Beerdigung seiner Frau in Texas, der Wunsch, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen.

Das tut er dann auch. Als Rächer. Als Vigilant. Als, unterstützt von Radiomoderatoren, die über seine Verbrechen sprechen, Stimme des Volkes, die einfach die Todesstrafe für jedes ihnen missfallende Verhalten fordert.

Diese Geschichte kann verschieden interpretiert werden. Roth entschließt sich für die reaktionäre Variante als feuchter Traum der NRA. Denn, so der idiotische Spruch der US-Waffenlobby, gegen einen bösen Mann mit einer Waffe hilft nur ein guter Mann mit einer Waffe. Auch Kerseys Psychiaterin befürwortet seine Aktionen, wenn sie in einer Sitzung zu dem sich aus seiner Trauer lösenden Kersey sagt, egal was er tue, es helfe ihm und er solle damit fortfahren. Dass sie in diesem Moment nicht weiß, was Kersey tut, ist egal. Erstens ist der Satz innerhalb der Filmgeschichte eine klare Legitimation für Kerseys Selbstjustiz. Zweitens folgt von ihr niemals eine Distanzierung gegenüber irgendeiner Form der Selbstjustiz.

In diesem Punkt hat Paul Kerseys Bruder eine interessantere Entwicklung. Sofern bei einer kaum ausformulierten Nebenfigur überhaupt von einer Entwicklung gesprochen werden kann. Immerhin darf er sich vor der finalen Schießerei Shoot Out alibimäßig gegen Selbstjustiz äußern.

Denn in „Death Wish“ wird Selbstjustiz als eine erfolgreiche und empfehlenswerte Form der Bewältigung von Verlust und als ein probates Mittel gegen das Verbrechen gezeigt. Das ist in jeder Beziehung gefährlicher Unfug.

Neben dieser Botschaft und dem schlampigen Plotting ist das größte Problem des Films Bruce Willis. Er spielt die Hauptrolle im von ihm in den letzten Jahren perfektionierten „Where’s my paycheck?“-Modus. Ohne irgendein spürbares Engagement steht er da und liefert emotionslos seine Sätze ab. Mit einigen typischen Willis-Manierismen und ein, zwei John-McClane-Momenten, die nicht in den Film passen. Weil Willis sich noch nicht einmal bemüht, zu spielen, ist von Kerseys Gewissenkonflikt und seiner emotionalen Reise bei seiner Wandlung vom superpatenten Vater und Arzt zum skrupellosen Rächer nichts zu spüren.

Eli Roths „Death Wish“ ist nur noch der reaktionäre Film, der Waffenfans gefällt. Ohne irgendeine der Fragen zu stellen, die in Winners Film (weniger) und Garfields Roman (mehr) thematisiert werden.

Nämlich wann ist Selbstjustiz, vulgo Vigilantismus, gerechtfertigt bzw. erklärbar und was macht das mit einem Menschen. Brian Garfield ist überzeugt, dass Gewalt nur Gegengewalt erzeugt und sie zu einem moralischen Verfall des Täters führt. Davon erzählt er in „Ein Mann sieht rot“ und, weil er fand, dass seine Botschaft von Michael Winner falsch dargestellt wurde, auch in seiner „Ein Mann sieht rot“-Fortsetzung „Death Sentence“ (1975). Der Roman wurde 2007 als äußerst pessimistische Studie über Selbstjustiz verfilmt. In anderen Romanen erzählt er, wie seine Protagonisten erfolgreich und ohne Gewalt anzuwenden gegen Gewalttäter vorgehen.

Zu „Ein Mann sieht rot“ erklärte Garfield: „I meant it (if you believe in the influence ov subtext) as a cautionary lesson, not a recommendation. Revenge is a universal fantasy but, in practice, it isnt’t a solution, it’s a problem.“

Charles Bronson, der Paul Kersey in „Ein Mann sieht rot“ spielte, äußerte sich in Interviews über Winner-Film ähnlich. Und Winners Film hat durchaus ein Interesse an dieser Frage. Sein Film spielt auch vor einem konkreten sozialen und politischen Hintergrund: dem New York der frühen siebziger Jahre. Er stellt Fragen. Auch darüber, ob der Staat versagt und wie der Staat mit Selbstjustiz umgehen soll.

Es sind Fragen, über die es sich lohnt, zu diskutieren und über die Geschichten erzählt werden können, die dann für Diskussionen sorgen. Brian Garfield und Michael Winner gelang das. Garfields Botschaft ist heute sogar, angesichts des US-Präsidenten und seiner Fürsprecher und Fans, aktueller denn je.

Eli Roths „Death Wish“ beschäftigt sich nicht mit diesen Fragen. Er versucht es noch nicht einmal. Entsprechend gering ist der Erkenntisgewinn.

Dazu kommt in diesem Fall, – schließlich gibt es unzählige Selbstjustizthriller -, die Verärgerung über die Macher, die sich explizit auf ein älteres Werk beziehen, sich höchst oberflächlich mit den dort gestellten Fragen und Themen beschäftigen und dann alles falsch verstehen. Dadurch wird ihr Versagen noch offensichtlicher.

Zum Abschluss noch ein Wort zum Drehbuchautor: Joe Carnahan sollte den Film vor mehreren Jahren inszenieren. Er schrieb ein Drehbuch und wollte Liam Neeson als Hauptdarsteller. Das zerschlug sich und seitdem waren mehrere Regisseure mit dem Projekt beschäftigt, verschiedene Hauptdarsteller im Gespräch (eigentlich jeder Mann über fünfzig) und Carnahans Drehbuch wurde von mehreren Autoren überarbeitet. Im Final Shooting Draft werden neun Autoren genannt. Dean Georgaris scheint der Hauptautor des verfilmten Drehbuchs zu sein, aber die Writer’s Guild beschloss, dass Carnahan in den Credits als einziger Autor genannt werden soll.

Deshalb wäre es Quatsch, diesen Film mit Joe Carnahans anderen Filmen zu vergleichen.

Georgaris ist der Autor von „Der Manchurian Kandidat“, „Paycheck – Die Abrechnung“ und „Lara Croft – Tomb Raider: Die Wiege des Lebens“.

Death Wish (Death Wish, USA 2018)

Regie: Eli Roth

Drehbuch: Joe Carnahan

LV: Brian Garfield: Death Wish, 1972 (Ein Mann sieht rot)

mit Bruce Willis, Elisabeth Shue, Camila Morrone, Vincent D’Onofrio, Beau Knapp, Kimberly Elise, Dean Norris

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Death Wish“

Metacritic über „Death Wish“

Rotten Tomatoes über „Death Wish“

Wikipedia über „Death Wish“

Meine Besprechung von Eli Roths „Knock Knock“ (Knock Knock, USA/Chile 2015)

Homepage von Brian Garfield

Meine Besprechung von Joseph Rubens  “The Stepfather” (The Stepfather, USA 1986, nach einer Geschichte von Brian Garfield)

Bonushinweis

Nach einer Neuprüfung ist die Vorlage für Eli Roths „Death Wish“ (jau, der Film wird in den Credits ausdrücklich als Vorlage genannt), Michael Winners „Ein Mann sieht rot“ jetzt von der Liste jugendgefährdender Medien gestrichen und „frei ab 16 Jahren“. Studiocanal spendierte schneller als erwartet eine Neuausgabe des Films. Sie erscheint, ohne nennenswertes Bonusmaterial, am 22. März.

Herbie Hancock schrieb die Musik.

Ein Mann sieht rot (Death Wish, USA 1974)

Regie: Michael Winner

Drehbuch: Wendell Mayes

LV: Brian Garfield: Death Wish, 1972 (Ein Mann sieht rot)

mit Charles Bronson, Hope Lange, Vincent Gardenia, Steven Keats, William Redfield, Stuart Margolin, Stephen Elliott, Jeff Goldblum (sein Debüt)

BBC-Filmkritiker Mark Kermode fasst 2016  die Produktionsgeschichte von „Death Wish“ bis zur Regieübernahme von Eli Roth zusammen.


TV-Tipp für den 8. März: Der gekaufte Tod

März 8, 2018

Wer den Film vor einigen Tagen verpasste

https://youtu.be/gB_SH82CNeQ

Arte, 00.10

Der gekaufte Tod (La Mort en Direct, Deutschland/Frankreich 1979)

Regie: Bertrand Tavernier

Drehbuch: David Rayfiel, Bertrand Tavernier

LV: D. G. Compton: The unsleeping Eye; The continuous Katherine Mortehoe, 1974 (später „Death Watch“) (Schlaflose Augen; Der gekaufte Tod; Tod live)

In naher Zukunft gibt es fast keine tödlichen Kranheiten mehr. Deshalb ist die TV-Show „Death Watch“, die voyeuristisch das Sterben der Todkranken verfolgt, ein Quotenhit. Die junge, tödlich erkrankte Schriftstellerin Kathrine Mortenhoe (Romy Schneider) soll der neue Star der Show werden. Sie ist einverstanden. Als sie mit dem erklecklichen Honorar für ihre Teilnahme an „Death Watch“ untertaucht, setzt der Produzent (Harry Dean Stanton) Roddy (Harvey Keitel) auf sie an. In seine Augen wurde eine Kamera implantiert, die alles was er sieht, in die Zentrale des TV-Senders überträgt.

Extrem selten gezeigter Science-Fiction-Film.

„Ein eher zwiespältiger Film mit schauspielerischen Qualitäten, aber viel fehlgeleiteter Medienkritik.“ (Fischer Film Almanach 1981)

„die Auseinandersetzung mit der Frage, wie wirtschaftliche und politische Machtveränderungen in der Zukunft Moralbegriffe außer Kraft setzen, lohnt auf jeden Fall.“ (Filmbeobachter)

Was vor Jahrzehnten noch eine in weiter Zukunft liegende Dystopie war, ist heute, abgesehen von den besiegten Krankheiten, gar nicht mehr so unwahrscheinlich.

mit Romy Schneider, Harvey Keitel, Harry Dean Stanton, Therese Liotard, Max von Sydow, William Russel, Vadim Glowna, Bernhard Wicki, Eva Maria Meineke, Paul Young, Robbie Coltrane, Bill Nighy (beide haben nur Kurzauftritte: Coltrane in seinem Spielfilmdebüt als Limousinenfahrer, Nighy in seinem zweiten Spielfilmauftritt als Mann in der ‚Harriet Szene‘)

auch bekannt als „Death Watch – Der gekaufte Tod“ (Kinotitel)

Hinweise

Arte über „Der gekaufte Tod“

Filmportal über „Der gekaufte Tod“

Die Zukunft über „Der gekaufte Tod“

Rotten Tomatoes über „Der gekaufte Tod“

Wikipediia über „Der gekaufte Tod“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Bertrand Taverniers „Der Uhrmacher von St. Paul (L’horloger de Saint-Paul, Frankreich 1974)

Meine Besprechung von Bertrand Taverniers „In the Electric Mist – Mord in Louisiana (In the Electric Mist, USA 2009)

Meine Besprechung von Bertrand Taverniers „Die Prinzessin von Montpensier“ (La Princesse de Montpensier, Frankreich 2010)

 


TV-Tipp für den 7. März: Winter’s Bone

März 7, 2018

3sat, 22.25 (VPS 22.24)

Winter’s Bone (Winter’s Bone, USA 2010)
Regie: Debra Granik
Drehbuch: Debra Granik, Anne Rosellini
LV: Daniel Woodrell: Winter’s Bone, 2007 (Winters Knochen)
Die Ozarks: die siebzehnjährige Ree Dolly sucht ihren verschwundenen Vater. Nicht etwa, weil sie ihn so sehr liebt, sondern weil sie ihr Haus verlieren, wenn er nicht vor Gericht auftaucht. Aber alle, die ihr helfen könnten, raten ihr, nicht weiter nach dem Verschwundenen zu suchen.
Debra Graniks grandioser, allseits abgefeierter und vielfach ausgezeichneter Film folgt Daniel Woodrells Roman bis in die Dialoge. Sie drehte vor Ort in Missouri mit vielen unverbrauchten Gesichtern, die erstmals vor der Kamera standen, und, sagen wir mal, ungeschminkten Hollywood-Schauspielern (die sich eher in Serien und Independent-Filmen tummeln; also nicht die ganz großen Namen sind, aber an deren Gesichter man sich erinnert). All das trägt zum dokumentarischen New-Hollywood-Feeling, wie wir es aus den siebziger Jahren kennen, bei.
Und hier zeigt sich der größte Unterschied zwischen Buch und Film. Während in Woodrells Roman die Armut immer noch ein poetisches Anlitz hat, sehen wir im Film eine deprimierend ärmliche Landschaft, die eher an ein Dritte-Welt-Land erinnert. Auf den Höfen und in den Wohnungen stapelt sich Müll, der vergessen wurde, endgültig zu entsorgen. Die Menschen verdienen ihr Geld mit kriminellen Aktivitäten. Heute Meth und andere Drogen; während der Prohibition als Schnapsbrenner. Sie halten immer noch den alten Frontier-Mythos hoch. Aber es zeigt sich, auch, wo die Cowboy-Ideologie des Wilden Westens endete. Insofern ist die gelungene Verfilmung eines fantastischen Buches düsterer und am Ende sogar hoffnungsloser als die noirische Vorlage.
mit Jennifer Lawrence, Isaiah Stone, Ashlee Thompson, Valerie Richards, Shelley Waggener, Garret Dillahunt, William White, Ramona Blair

Hinweise

Kaliber.38 über Daniel Woodrell

Mordlust über Daniel Woodrell

Wikipedia über Daniel Woodrell

The Independent: John Williams über Daniel Woodrell (16. Juni 2006)

The Southeast Review interviewt Daniel Woodrell (1. April 2009)

River Cities’ Reader über Daniel Woodrell (8. April 2010)

The Wall Street Journal/Speakeasy (Steven Kurutz) unterhält sich mit Daniel Woodrell über “Winter’s Bone” (27. Februar 2011)

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Winter’s Bone“

Rotten Tomatoes über “Winter’s Bone”

Daniel Woodrell bei Mulholland Books

Meine Besprechung von Daniel Woodrells „Winters Knochen“ (Winter’s Bone, 2006)

Meine Besprechung von Daniel Woodrells “Der Tod von Sweet Mister” (The Death of Sweet Mister, 2001)

Meine Besprechung von Daniel Woodrells “Im Süden – Die Bayou-Trilogie” (The Bayou Trilogy, 2011)

Meine Besprechung von Daniel Woodrells “In Almas Augen” (The Maid’s Version, 2013)

Daniel Woodrell in der Kriminalakte

Die Vorlage (Lesebefehl!)

Woodrell - Winters Knochen

Daniel Woodrell: Winters Knochen

(übersetzt von Peter Torberg)

Liebeskind, 2011

224 Seiten

18,90 Euro

Originalausgabe

Winter’s Bone

Little, Brown and Company, New York, 2006


Cover der Woche

März 7, 2018


TV-Tipp für den 6. März: Vier gegen die Bank

März 6, 2018

WDR, 23.40

Vier gegen die Bank (Deutschland 1976)

Regie: Wolfgang Petersen

Drehbuch: Wolfgang Menge

LV: Ralph Maloney: The Nixon Recession Caper, 1972 (Gentlemen in roten Zahlen)

Weil es mit dem Einkommen kein Auskommen mehr gibt (was auch an den Gattinnen liegt), beschließen ein Architekt, ein Modeschöpfer, ein Schauspieler und ein Werbefilmproduzent, die sich vom gemeinsamen Golf-Spielen kennen, eine Bank zu überfallen.

Schon ewige nicht mehr gezeigte TV-Gaunerkomödie, ein „Boulevardstück“ (Petersen), von dem Wolfgang Petersen ein überflüssiges, an Weihnachten 2016 in den Kinos angelaufenes und inzwischen vergessenes, starbesetztes Remake drehte.

mit Herbert Bötticher, Walter Kohut, Harald Leipnitz, Günther Neutze, Karin Eickelbaum, Ingrid van Bergen, Otto Sander

Hinweise

Wikipedia über „Vier gegen die Bank“ (deutsch, englisch)


DVD-Kritik: Das Ende von „Orphan Black“

März 5, 2018

Als Sarah Manning vor fünf Jahren auf einem Bahnsteig den Suizid einer Frau beobachtete, klaute sie anschließend die Tasche der Toten. Sie will die Identität der Toten, die wie ihr Zwilling aussieht,annehmen und sich so aus ihrer desaströsen finanziellen Lage zu retten.

Das war der Auftakt zu der von John Fawcett und Graeme Manson erfundenen und, abgesehen von der zerfaserten dritten Staffel, durchgehend auf hohem Niveau erzählten Science-Fiction-Serie, „Orphan Black – Ein Klon ist niemals allein“, die jetzt mit der fünften Staffel ihren würdigen und spannenden Abschluss findet.

Schnell fand Sarah Manning heraus, dass sie Teil eines Klon-Experiments ist, dass es noch weitere identische Klone gibt (die alles von Tatiana Maslany gespielt werden), dass dahinter der Konzern Dyad steckt und dass dieser über gute Kontakte zur Regierung, zur Polizei und zum Militär verfügt. Es gibt sogar eine Versuchsreihe mit männlichen Klonen, die hochgezüchtete Soldaten waren. Dieser Erzählstrang mit den männlichen Klonen in der dritten Staffel führte allerdings ins Nichts und wurde schnell fast vollständig fallengelassen.

Zusammen mit ihren Klon-Schwestern, ihrer Pflegemutter Mrs. S., die als Mitglied der „Birdwatchers“-Freiheitskämpfer immer noch über gute Kontakte zu einem Untergrund-Netzwerk verfügt, ihrem Pflegebruder Felix und einigen Freunden und Vertrauten, wie dem Polizisten Art Bell, versucht Sarah Manning in der SF-Serie herauszufinden, wer sie warum gemacht hat. Und sie kämpft um ihr Leben und ihre Identität. Denn wie kann sie eine eigenständige Person sein, wenn sie nur der identische Klon eines andere Klons ist?

Am Ende der vierten Staffel waren Sarah und Cosima (ihre Wissenschaftler-Klonschwester) auf einer malerischen Insel, auf der Percival Westmoreland leben soll. Sarah war schwer verletzt.

Westmoreland, der Gründer des Neolutionismus, hat, wie wir in der fünften Staffel erfahren, auf der Insel sein Reich errichtet. Wie Dr. Moreau experimentiert er an und mit Menschen. Er hat eine treue Gefolgschaft, die zu ihm auf die Insel gekommen sind. Sie wollen, wie er, ewig leben.

Die fünfte „Orphan Black“-Staffel schließt unmittelbar an die vierte Staffel an und bringt die Geschichte zu einem befriedigendem Ende. Auch wenn die große Verschwörung am Ende erstaunlich leicht aufgedeckt und die Verantwortlichen besiegt werden können. Und die Öffentlichkeit sich danach, was ich für sehr unglaubwürdig halte, nicht für die Klonschwestern und -brüder und die illegalen Klonexperimente von Westmoreland und dem Dyad-Konzern zu interessieren scheint.

Gelungen ist die Idee der Macher, in dieser Staffel in mehreren Episoden einzelne Klone und für die Serie wichtige Charaktere in den Mittelpunkt zu stellen. In diesen Episodengeschichte und den Rückblenden sehen wir, wie sehr sie sich in den vergangenen Staffeln veränderten und was für sie jetzt auf dem Spiel steht.

Durch diese Entscheidung steuert die finale Staffel nicht gradlinig auf das Finale zu, sondern sie nimmt sich viel Zeit und lässt einen noch einmal in die unterschiedlichen Welten der verschiedenen Charaktere eintauchen. Damit ist diese Staffel immer wieder sehr kontemplativ.

Zu dieser Stimmung passt auch die Entscheidung der Macher, die Serie nicht mit einer großen Konfrontation, einem Kampf, bei dem kein Stein mehr auf dem anderen bleibt, sondern mit einem langen gemeinsamen Abhängen der Klone und ihrer Familie im Garten von Soccer-Mum Alison Hendrix (die inzwischen auch etwas lockerer geworden ist), zu beenden. In dem Moment kann Tatiana Maslany in einer Szene in einem halben Dutzend Rollen brillieren.

Das Bonusmaterial der DVD besteht aus fünf Featurettes, die insgesamt gut siebzig Minuten dauern und sehr informativ auf die Hintergründe zu bestimmten Episoden eingehen. Mal sind es technische Fragen (wie die Szene, in der zwei Klone in einer ungeschnittenen Szene ihre Kleider tauschen), meistens werden aber bestimmte Aspekte der Geschichte erklärt. Und mehr kann ich über die Featurettes ohne massive Plot-Spoiler nicht sagen. Deshalb sollte das Bonusmaterial auch erst nach dem Genuss der Serie angesehen werden.

Orphan Black: Ein Klon ist niemals allein – Staffel 5 (Orphan Black, Kanada 2017

Regie: John Fawcett, David Wellington, Helen Shaver, Grant Harvey, David Frazee, Aaron Morton

Drehbuch: Graeme Manson, Jeremy Boxen, Alex Levine, Greg Nelson, Jenn Engels, David Bezmozgis, René St. Cyr, Aisha Porter-Christie

Erfinder: John Fawcett, Graeme Manson

Mit Tatiana Maslany (Sarah Manning/Alison Hendrix/Cosima Niehaus/Rachel Duncan/Helena), Jordan Gavaris (Felix ‚Fee‘ Dawkins), Kevin Hanchard (Detective Art Bell), Evelyne Brochu (Delphine Cormier), Maria Doyle Kennedy (Siobhán Sadler, aka Mrs. S), Ari Millen (Ira Blair), Skyler Wexler (Kira Manning), Kristian Bruun (Donnie Hendrix), James Frain (Ferdinand Chevalier), Rosemary Dunsmore (Susan Duncan), Lauren Hammersley (Adele), Josh Vokey (Scott Smith), Cynthia Galant (Junge Rachel Duncan/Charlotte Bowles), Matt Frewer (Dr. Aldous Leekie), Rosemary Dunsmore (Susan Duncan), Kyra Harper (Virginia Coady), Stephen McHattie (Percival ‚P. T.‘ Westmoreland/John Paterick Mathieson), Elyse Levesque (Detective Maddy Enger)

DVD

Polyband

Bild: 1,78:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch, Englisch)

Bonusmaterial (67 Minuten): Island of lost souls, The epic clone shot, Clone-centric, The Beginning of the End, Out of the Black

Länge: 450 Minuten (10 x 45 Minuten) (3 DVDs)

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

BBC über „Orphan Black“

BBC America über “Orphan Black”

Moviepilot über “Orphan Black”

Rotten Tomatoes über “Orphan Black” (bei Serien ist die Bewertung einfach zu positiv)

Wikipedia über „Orphan Black“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von „Orphan Black – Ein Klin ist niemals allein: Staffel 1“ (Orphan Black, Kanada 2013)

Meine Besprechung von „Orphan Black – Ein Klon ist niemals allein: Staffel 2“ (Orphan Black, Kanada 2014)

Meine Besprechung von „Orphan Black – Ein Klon ist niemals allein: Staffel 4“ (Orphan Black, Kanada 2016)


Die Krimibestenliste März 2018

März 5, 2018

Für den März und damit als Ostergeschenke empfiehlt die Bestenliste der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Deutschlandfunk Kultur

1 (-) Garry Disher: Leiser Tod (Unionsverlag)

2 (-) Hideo Yokoyama: 64 (Atrium)

3 (5) Dror Mishani: Die schwere Hand (Zsolnay)

4 (6) William Boyle: Gravesend (Polar)

5 (-) Wallace Stroby: Fast ein guter Plan (Pendragon)

6 (10) Antti Tuomainen: Die letzten Meter bis zum Friedhof (Rowohlt)

7 (2) Mike Nicol: Korrupt (btb)

8 (-) Castle Freeman: Der Klügere lädt nach (Nagel & Kimche)

9 (-) Roger Smith: Mann am Boden (Tropen)

10 (-) Tom Hillenbrand: Hologrammatica (Kiepenheuer & Witsch)

In ( ) ist die Platzierung vom Vormonat.

Nachdem ich die letzten Tage mit „Red Sparrow“ (so viele Seiten, so viele Sexszenen, so viele Kochrezepte), „Call me by your Name“ (so schön) und dem „Vermächtnis der Spione“ (Bester auländischer Krimi? Wirklich?) beschäftigt war und jetzt gerade „Immer Ärger mit Harry“ habe, stehen Garry Disher, Willam Boyle (und der neueste Polar-Roman, Roland Sprangers „Tiefenscharf“), Wallace Stroby und der neue Horst Eckert („Der Preis des Todes“ erscheint am 13. März und er beträgt 19,95 Euro) ganz oben auf meiner Leseliste. Neben ungefähr hunderttausend anderer guter Bücher, begleitet vom „Eight Ball Boogie“ beim „Höllenjazz in New Orleans“. Solange mich dabei „Die Rache der Polly McClasky“ nicht trifft, kann ich „Wie Wölfe im Winter“ heulen.

Zum Glück muss ich „Ein Mann sieht rot“ nicht mehr lesen. Aber wenn ihr das Buch in einem Antiquariat findet: kauft und lest es.

Nachtrag (6. März): Reihenfolge berichtigt, weil ursprünglich eine falsche Datei versandt wurde.


TV-Tipp für den 5. März: Série noire

März 5, 2018

Arte, 20.15

Série Noire (Frankreich 1979, Regie: Alain Corneau)

Drehbuch: Georges Pérec, Alain Corneau

LV: Jim Thompson: A Hell of a Woman, 1954 (Höllenweib; Ein Satansweib)

Der unglücklich verheiratete Vertreter Frank Poupart verliebt sich in die blutjunge Mona, die von ihrer Tante zur Prostitution gezwungen wird. Mona stachelt Frank an, ihre Tante wegen des Geldes umzubringen.

„This is among the bleakest visions of urban alienation and imploding social structures in all of French noir.“ (Alexander Ballinger/Danny Graydon: The Rough Guide to Film Noir, 2007)

„Ein düsterer, bitterböser Film.“ (Lexikon des internationalen Films)

„Corneaus pointierter Realismus balanciert in jeder Einstellung am Abgrund des Alptraums. Ein Meisterwerk im französischen Kino der ausgehenden 70er Jahre.“ (Fischer Film Almanach 1999)

Der für fünf Césars (unter anderem für das Drehbuch und den Hauptdarsteller) nominierte Noir wurde in Deutschland erstmals am 2. März 1998 von Arte präsentiert. Seitdem gab es anscheinend nur eine Wiederholung: im Dezember 2012. Ebenfalls von Arte.

Für Jim-Thompson-Fans und die Freunde der französischen Filmkunst ein Pflichttermin.

mit Patrick Dewaere, Myriam Boyer, Marie Trintignant, Bernard Blier, Jeanne Herviale

Hinweise

Wikipedia über „Série Noire“ (deutsch, englisch, französisch)

Meine Besprechung von Alain Corneaus „Wahl der Waffen“ (Le choix des armes, Frankreich 1981)

Meine Besprechung von Alain Corneaus „Love Crime (Crime d’amour, Frankreich 2010)

Mein Nachruf auf Alain Corneau

Alain Corneau in der Kriminalakte

Mordlust über Jim Thompson

Kaliber .38 über Jim Thompson

Crimetime über Jim Thompson

Wikipedia über Jim Thompson (Englisch)

Kirjasto über Jim Thompson

Popsubculture über Jim Thompson

Meine Besprechung von Jim Thomspsons “Jetzt und auf Erden” (Now and on Earth, 1942)

Meine Besprechung von Michael Winterbottoms Jim-Thompson-Verfilmung “The Killer inside me” (The Killer inside me, USA 2010)

Jim Thompson in der Kriminalakte


Herzlichen Glückwunsch zum siebzigsten Geburtstag, James Ellroy!

März 4, 2018

James Ellroy, geboren am 4. März 1948 in Los Angeles, ist unbestritten einer der großen amerikanischen Krimiautoren und Chronisten seiner Heimatstadt Los Angeles in Hollywoods goldener Ära und, seit zwanzig Jahren, auch der USA und seines Lebens.

2015 ernannten die Mystery Writers of America (MWA) ihn zum Grand Master.

Seine ersten Romane, die Einzelkrimis „Browns Grabgesang“ (Brown’s Requiem, 1981), „Heimlich“ (Clandestine, 1982) und „Stiller Schrecken“ (Silent Terror/Killer on the Road, 1986) und die drei Lloyd-Hopkins-Krimis „Blut auf dem Mond“ (Blood on the Moon, 1984), „In der Tiefe der Nacht“ (Because the Night, 1984) und „Hügel der Selbstmörder“ (Suicide Hill, 1986) sind noch ziemlich normale Hardboiled-Krimis.

Seinen Durchbruch hatte er mit „Die schwarze Dahlie“ (The Black Dahlia, 1987), in dem er den bis heute nicht aufgeklärten bestialischen Mord an Elizabeth Short im Januar 1947 fiktional verarbeitete. „Die schwarze Dahlie“ ist auch der Auftakt seines „L. A.-Quarett“, einer faktengesättigten fiktionalen Gegenerzählung seiner Heimatstadt Los Angeles in den späten vierziger und fünfziger Jahren. Auch die nächsten drei Romane des „L. A.-Quartett“ – „Blutschatten“ (The Big Nowhere, 1988), „Stadt der Teufel“ (L. A. Confidential, 1990; grandios verfilmt) und „White Jazz“ (White Jazz, 1992) – gehören zum festen Kanon der Kriminalliteratur.

In der anschließenden „Underworld USA“-Trilogie „Ein amerikanischer Thriller“ (American Tabloid, 1995), „Ein amerikanischer Albtraum“ (The Cold Six Thousand, 2001) und „Blut will fließen“ (Blood’s a Rover, 2009) erzählt er eine mehrere Länder umspannende Gegenschichte der USA und der US-Politik zwischen dem Mord an John F. Kennedy und Watergate.

Seine schon immer dicken Romane wurden länger. Die zahlreichen Handlungsstränge in der „Underworld USA“-Trilogie sind sehr unübersichtlich und Ellroys Sprachexperimente, vor allem die Kaskade kürzester Sätze und Lautmalereien, machen die mit Fakten und Verschwörungstheorien vollgestopften Romane zunehmend unlesbar.

Mit seinem bislang letzten Roman „Perfidia“ (Perfidia, 2014), der der Auftakt zu einem zweiten „L. A. Quartett“ sein soll, kehrt er wieder in die Welt des L. A.-Quartetts zurück und erzählt die Vorgeschichte davon. Daher tauchen in der im Dezember 1941 spielenden Geschichte aus dem L. A.-Quartett bekannte Charaktere auf. Auch sprachlich kehrt Ellroy wieder mehr zu den Konventionen zurück. Lesbarer ist der fast tausendseitige Roman dadurch nicht geworden.

Der zweite Band des zweiten L. A. Quartetts, „This Storm“, ist für September 2018 in den USA angekündigt.

Neben seinen immer hart an der Realität vorbeischrammenden Romanen, veröffentlichte er auch mehrere Bücher mit Kriminalreportagen und autobiographische Werke. Hier ist vor allem „Die Rothaarige“ (My Dark Places, 1997) wichtig. In dem Buch erzählt er von der erfolglosen Suche nach dem Mörder seiner Mutter Geneva ‚Jean‘ Ellroy. Sie wurde 1958 in einem Vorort von L. A. vergewaltigt und ermordet. Seine Beziehung zu ihr, auch und vor allem über ihren Tod hinaus, begründete eine seiner Obsessionen, die in seinem gesamten Werk spürbar ist.

Der Ullstein Verlag, Ellroys deutscher Verlag, veröffentlichte zu seinem Geburtstag „Die Rothaarige“ und das „L. A. Quarett“ in Neuausgaben – und, wer noch nichts von James Ellroy gelesen hat, hat mit diesen Büchern einen guten Einstieg in die Welt des „Demon dog of American crime fiction“.

James Ellroy: Die Rothaarige – Die Suche nach dem Mörder meiner Mutter

(übersetzt von Tina Hohl und Heinrich Anders)

Ullstein, 2018

528 Seiten

25 Euro

Hinweise

Homepage von James Ellroy

Wikipedia über James Ellroy (deutsch, englisch)

Meine Besprechung der James-Ellroy-Verfilmung “Rampart – Cop außer Kontrolle” (Rampart, USA 2011)

Meine Besprechung von James Ellroys Underworld-USA-Trilogie (Ein amerikanischer Thriller, Ein amerikanischer Albtraum, Blut will fließen)

Meine Besprechung von James Ellroys “Der Hilliker-Fluch – Meine Suche nach der Frau” (The Hilliker Curse – My Pursuit of Women, 2010)

Meine Teilbesprechung von James Ellroys “Perfidia” (Perfidia, 2014)

James Ellroy in der Kriminalakte (oft mit Videos, in denen der nicht an Selbstüberschätzung leidende Ellroy persönlich auftritt)


TV-Tipp für den 4. März: Oscar 2018

März 3, 2018

Pro7, 23.25

Oscar 2018

Vorberichte, Roter Teppich ab 00.40 Uhr und dann ab 02.00 Uhr die Preisverleihung bis zum Morgengrauen.

Gar nicht grauenhaft sind die nominierten Filme.

Und wie in den letzten Jahren gebe ich für die Filme, die ich kenne, meine Tipps ab in einer wilden Mischung aus „wird es auch wahrscheinlich werden“ und „wird es wahrscheinlich nicht werden, würde mich aber freuen“.

Wer gewonnen hat, wird nach Sonnenaufgang nachgereicht.

Im Rennen sind:

Best Picture

Call Me by Your Name

Darkest Hour (Die dunkelste Stunde)

Dunkirk

Get Out

Lady Bird (Noch nicht gesehen, daher )

Phantom Thread (Der seidene Faden)

The Post (Die Verlegerin)

The Shape of Water (Mein Tipp; wobei alle nominierten Filme sehenswert sind) (GEWINNER)

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

Best Director

Paul Thomas Anderson, Phantom Thread

Guillermo del Toro, The Shape of Water (Mein Tipp) (GEWINNER)

Greta Gerwig, Lady Bird

Christopher Nolan, Dunkirk

Jordan Peele, Get Out

Best Actress

Sally Hawkins, The Shape of Water

Frances McDormand, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (Mein Tipp) (GEWINNER)

Margot Robbie, I, Tonya

Saoirse Ronan, Lady Bird

Meryl Streep, The Post

Best Actor

Timothee Chalamet, Call Me By Your Name

Daniel Day-Lewis, Phantom Thread

Daniel Kaluuya, Get Out

Gary Oldman, Darkest Hour (Mein Tipp) (GEWINNER)

Denzel Washington, Roman J. Israel, Esq.

Best Supporting Actress

Mary J. Blige, Mudbound (nicht gesehen)

Allison Janney, I, Tonya (Mein Tipp, weil sie einer Ekelmutter menschliche Züge verleiht. Alternativ: Octavia Spencer für die vielen Lebensweisheiten einer Putzfrau) (GEWINNER)

Lesley Manville, Phantom Thread

Laurie Metcalf, Lady Bird (nicht gesehen)

Octavia Spencer, The Shape of Water

Best Supporting Actor

Willem Dafoe, The Florida Project

Woody Harrelson, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri

Richard Jenkins, The Shape of Water

Christopher Plummer, All the Money in the World

Sam Rockwell, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (Mein Tipp. Alternativ: Willem Dafoe für die Darstellung eines ganz normalen Hausmeisters in einem Film, der mehr Nominierungen verdient hätte) (GEWINNER)

Best Original Screenplay

The Big Sick (Emily V. Gordon & Kumail Nanjiani)

Get Out (Jordan Peele) (GEWINNER)

Lady Bird (Greta Gerwig)

The Shape of Water (Guillermo del Toro & Vanessa Taylor)

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (Martin McDonagh) (Mein Tipp, weil; – lest doch selbst)

(noch mehr aktuelle Drehbücher)

Best Adapted Screenplay

Call Me by Your Name (James Ivory) (GEWINNER)

The Disaster Artist (Scott Neustadter & Michael H. Weber)

Logan (Scott Frank, James Mangold, Michael Green)

Molly’s Game (Aaron Sorkin) (Mein Tipp – noch ein Film, der mehr Nominierungen verdient hätte. Hmhm, ich sehe, dass ich „Call me by your Name“ etwas stiefmütterlich behandele)

Mudbound (Dee Rees & Virgil Williams) (nicht gesehen)

Best Foreign-Language Film (Kein Tipp, weil 2 von 5 ist zu wenig. „Loveless“ wird die Tage angesehen.)

A Fantastic Woman (GEWINNER – gerade auf DVD erschienen)

The Insult

Loveless

On Body and Soul

The Square

Best Animated Feature

The Boss Baby

The Breadwinner

Coco (Mein Tipp, weil Pixar) (GEWINNER)

Ferdinand

Loving Vincent

Best Documentary Feature

Abacus: Small Enough to Jail

Faces Places

Icarus (GEWINNER)

Last Men in Aleppo

Strong Island

Best Cinematography

Blade Runner 2049 (Roger Deakins) (nicht gesehen) (GEWINNER)

Darkest Hour (Bruno Delbonnel)

Dunkirk (Hoyte van Hoytema)

Mudbound (Rachel Morrison) (nicht gesehen)

The Shape of Water (Dan Laustsen) (Mein Tipp)

Best Film Editing

Baby Driver (Jonathan Amos & Paul Machliss)

Dunkirk (Lee Smith) (Mein Tipp – für das Zusammenführen von drei zeitlich versetzten Handlungssträngen in einem Film, der vor allem als Sinfonie funktioniert) (GEWINNER)

I, Tonya (Tatiana S. Riegel)

The Shape of Water (Sidney Wolinsky)

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (Jon Gregory)

Best Sound Mixing

Baby Driver

Blade Runner 2049

Dunkirk (Mein Tipp) (GEWINNER)

The Shape of Water

Star Wars: The Last Jedi

Best Sound Editing

Baby Driver (Mein Tipp; oder umgekehrt mit Mixing)

Blade Runner 2049

Dunkirk (GEWINNER)

The Shape of Water

Star Wars: The Last Jedi

Best Visual Effects (hilflos die Arme bewegend, sich dann für die Affen entscheidend)

Blade Runner 2049 (GEWINNER)

Guardians of the Galaxy Vol. 2

Kong: Skull Island

Star Wars: The Last Jedi

War for the Planet of the Apes (Planet der Affen: Survival) (Mein Tipp, weil nichts gegen viele Affen gesagt werden kann)

Best Makeup & Hairstyling

Darkest Hour (Puh, nun ja: Mein Tipp) (GEWINNER)

Victoria & Abdul

Wonder (nicht gesehen)

Best Costume Design

Beauty and the Beast (Jacqueline Durran) (Die Schöne und das Biest)

Darkest Hour (Jacqueline Durran)

Phantom Thread (Mark Bridges) (Mein Tipp für das formvollendete Schneiderhandwerk) (GEWINNER)

The Shape of Water (Luis Sequeira)

Victoria & Abdul (Consolata Boyle)

Best Production Design

Beauty and the Beast

Blade Runner 2049

Darkest Hour

Dunkirk

The Shape of Water (Auch hier: Puh. Aber der Film sieht gut aus. Daher: Mein Tipp) (GEWINNER)

Best Achievement in Music Written for Motion Pictures (Original Song)

Call Me by Your Name (Sufjan Stevens: Mystery of Love) (Mein Tipp – weil ich „Call me by your Name“ wenigstens einen Preis erhalten sollten. Wobei „Remember me“ auch schön ist…)

Coco (Kristen Anderson-Lopez, Robert Lopez: Remember Me) (GEWINNER)

Marshall (Common, Diane Warren: Stand Up for Something)

Mudbound (Raphael Saadiq, Mary J. Blige, Taura Stinson: Mighty River)

The Greatest Showman (Benj Pasek, Justin Paul: This is Me)

Best Achievement in Music Written for Motion Pictures (Original Score)

Phantom Thread: Jonny Greenwood

Dunkirk: Hans Zimmer

Star Wars: Episode VIII – The Last Jedi: John Williams

The Shape of Water: Alexandre Desplat (Mein Tipp) (GEWINNER)

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri: Carter Burwell

Best Live-Action Short (Das war’s. Die restlichen Filme kenne ich nicht)

DeKalb Elementary

The Eleven O’Clock

My Nephew Emmett

The Silent Child (GEWINNER)

Watu Wote/All of Us

Best Animated Short

Dear Basketball (GEWINNER)

Garden Party

Lou

Negative Space

Revolting Rhymes

Best Documentary Short

Edith+Eddie

Heaven Is a Traffic Jam on the 405 (GEWINNER)

Heroin(e)

Knife Skills

Traffic Stop

Nachbemerkung, zwischen Sonnenaufgang und 12 Uhr mittags:

Herzlichen Glückwunsch an alle Gewinner*innen!

Auch die anderen Filme sind einen Blick wert! Vor allem natürlich die Nominierungen für den besten Film des Jahres.

Und ich habe dieses Mal erstaunlich oft richtig getippt. Dafür sollte ich mich – – – mit einer Tasse heißen Kaffee belohnen. Alkohol gibt es erst nach 6 Uhr abends.


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: „Call me by your Name“ wenn du mich liebst

März 3, 2018

Ein Sommer in Italien. Ein Teenager. Ein etwas älterer Sommergast. Die erste Liebe.

So geschrieben klingt das wie ein Lore-Roman. Etwas für das ZDF-“Herzkino“.

Aber „Call me by your Name“ ist, wie schon die Namen der Beteiligten verraten, anders. Die Regie führte Luca Guadagnino, der Regisseur von „I am Love“ und „A bigger Splash“. Er sieht „Call me by your Name“ als Abschluss einer Trilogie des Begehrens. Das Drehbuch ist von James Ivory, dem hochgelobten, inzwischen etwas vergessenen Regisseur von Literaturverfilmungen wie „Zimmer mit Aussicht“, „Maurice“, „Wiedersehen in Howards End“ und „Was vom Tage übrig blieb“.

Und die ausgezeichnete Vorlage ist das Romandebüt von André Aciman. Der Literaturwissenschaftler und Romancier gehört zu den führenden Marcel-Proust-Experten. Prousts bekanntestes Werk ist „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ und das wäre auch ein guter Titel für „Call me by your Name“, in dem der Erzähler sich zwanzig Jahre später an diesen Sommer, in dem er der Liebe seines Lebens begegnet, erinnert.

Dabei verändert das Geschlecht des Erzählers die Geschichte. Denn Elio Perlman , der Ich-Erzähler des Romans, ist ein Mann. In dem entscheidenden Sommer war er siebzehn Jahre alt. Wie in den vorherigen Jahren verbringt er den Sommer mit seiner Familie in ihrem Landhaus und wie in den vorherigen Sommern muss er sein Zimmer für den Sommergast räumen. Denn jedes Jahr lädt sein Vater, ein Universitätslehrer, einen US-amerikanischen Studenten für sechs Wochen ein. Der Gast muss ihm als Bezahung für die Einladung nach Italien ein wenig bei seiner Arbeit helfen. Die restliche Zeit kann der Sommergast die Gegend genießen und, wozu er vor allem von den Perlmans eingeladen wurde, in aller Ruhe seine studentische Arbeit für eine Veröffentlichung vorbereiten. Dieses Jahr ist ihr Sommergast der 24-jährige Oliver, ein bis zur Arroganz selbstsicherer Jude aus New York.

Elio, der schon mit mehreren Mädchen geschlafen hat, verliebt sich in Oliver, der seine Liebe erwiedert.

Bis dahin dauert es einige Zeit. Weil der Film 1983 (der Roman nennt kein Jahr, spielt aber ebenfalls in den Achtzigern) spielt. Weil man sich damals nicht so leicht zu seiner Homosexualität bekannte. Weil die Geschichte in Italien spielt, das zwischen Macho-Kultur und Katholizismus kein gutes Klima für offensiv ausgelebte Homosexualität ist. Vor allem nicht in der Provinz. Der Film spielt in der Lombardei, der Roman an der italienischen Riviera. Dass Elio ein Jude ist, dass er aus einer Intellektuellenfamilie stammt und dass ihr Gast ein Ausländer ist, ändern daran nichts.

Diese Phase der Annäherung, des gegenseitigen Umwerbens, des Deutens und Missdeutens von Signalen nimmt einen großen Teil der luftig leicht erzählten Geschichte ein, die sich nicht für das schnelle Abhandeln der Plot Points interessiert. Dabei zeigt Guadagnino all die Italien-Klischees, die wir aus Filmen kennen, und verleiht ihn eine große Wahrhaftigkeit. Dass in seinem Film und dem mit dem Lambda-Award ausgezeichneten Roman eine homosexuelle Liebesgeschichte im Mittelpunkt der Sommeraffäre steht, ist dabei letztendlich egal. Es geht um zwei junge Menschen, ihre Gefühle und die Ereignisse in einem ereignislosen Sommer, garniert und abgeschlossen durch einen verständnisvollen Kommentar von Elios Vater, gespielt von Michael Stuhlbarg als lebensweisen Professor. Für Elio-Darsteller Timothée Chalamet, der auch in „Lady Bird“ (deutscher Kinostart 19. April) mitspielt, könnte diese Rolle der große Durchbruch sein. Er ist, unter anderem, für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert.

Call me by your Name“, der auch für den Oscar als bester Film nominiert ist, ist eine wundervolle Liebeserklärung, die für mich nur einen, dafür aber gravierenden Minuspunkt hat: ich konnte Armie Hammer, der Oliver spielt, niemals als das Objekt der Begierde sehen. Für mich war er im Film immer der arrogante Schnösel, mit dem ich nichts zu tun haben will und der wie ein egozentrischer Pfau durch die Szenerie stolziert und von allen bewundert werden will. Für mich drehte der Film sich deshalb um ein leeres Zentrum und meine Begeisterung für den Film ist mehr rational als emotional.

Call me by your Name (Call me by your Name, USA 2017)

Regie: Luca Guadagnino

Drehbuch: James Ivory

LV: André Aciman: Call me by your Name, 2007 (Call me by your Name – Ruf mich bei deinem Namen)

mit Armie Hammer, Timothée Chalamet, Michael Stuhlbarg, Amira Casar, Esther Garrel

Länge: 133 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die Vorlage

André Aciman: Call me by your Name – Ruf mich bei deinem Namen

(übersetzt von Renate Orth-Guttmann)

dtv, 2018

288 Seiten

10,90 Euro

Originalausgabe

Call me by your Name

Farrar, Straus and Giroux, New York, 2007

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Call me by your Name“

Metacritic über „Call me by your Name“

Rotten Tomatoes über „Call me by your Name“

Wikipedia über „Call me by your Name“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Luca Guadagninos „A bigger Splash“ (A bigger Splash, Italien/Frankreich 2015) und der DVD

Beim TIFF wurde der Regisseur und die beiden Hauptdarsteller auf die Bühne gebeten

Bei NYFF wurden sie, unterstützt von Michael Stuhlbarg, ebenfalls auf die Bühne gebeten

DP/30 unterhält sich mit Luca Guadagnino

und mit Timothée Chalamet über den Film und den Rest

 

 

 


TV-Tipp für den 3. März: Tödliche Entscheidung

März 3, 2018

MDR, 00.30

Tödliche Entscheidung (USA 2007, Regie: Sidney Lumet)

Drehbuch: Kelly Masterson

Andy, der für Drogen Geld aus der Firmenkasse nahm, kann seinen Bruder Hank überreden, das elterliche Juweliergeschäft zu überfallen. Der Überfall, auch weil die Mutter gar nicht daran denkt, irgendwelchen hergelaufenen, maskierten Verbrechern die Juwelen zu geben, geht schief – und dann bröckelt die heile Fassade der Familie verdammt schnell ab.

Mit seinem letzten Film drehte Sidney Lumet, nach einigen schwächeren Werken, mit einer Familientragödie noch einmal so richtig voll auf. Er seziert, wieder einmal, die Kehrseite des amerikanischen Traums anhand. Dieses Mal am Beispiel einer ziemlich kaputten, weißen Mittelstandsfamilie.

Der Pitch war vielleicht: „Family Business“, aber ohne Lacher.

„Tödliche Entscheidung“ ist ein feiner Noir und, kein Wunder bei der Besetzung, großes Schauspielerkino. Ein potentieller Klassiker.

mit Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Albert Finney, Marisa Tomei, Aleksa Palladino, Michael Shannon, Amy Ryan, Sarah Livingston, Brían F. O’Byrne, Rosemary Harris

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Französische Homepage zum Film

Wikipedia über „Tödliche Entscheidung“ (deutsch, englisch)

Film-Zeit über „Tödliche Entscheidung“

Rotten Tomatoes über “Tödliche Entscheidung”

Die Zeit: Katja Nicodemus trifft Sidney Lumet (12. April 2008)

Mein Nachruf auf Sidney Lumet (25. Juni 1924 – 9. April 2011)


TV-Tipp für den 2. März: Apocalypse Now Redux

März 2, 2018

3sat, 22.35

Apocalypse Now Redux (USA 1979, Regie: Francis Ford Coppola)

Drehbuch: John Milius, Francis Ford Coppola

LV: Joseph Conrad: Heart of Darkness, 1899 (Herz der Finsternis)

Während des Vietnamkrieges soll Captain Willard (Martin Sheen) Colonel Kurtz (Marlon Brando), der im Dschungel sein Reich errichtete, suchen und töten.

Klassiker, heute in der längeren und besseren Redux-Fassung.

mit Martin Sheen, Robert Duvall, Marlon Brando, Fred Forrest, Sam Bottoms, Albert Hall, Larry Fishburne, Dennis Hopper, Harrison Ford, G. D. Spradlin, Bill Graham

Hinweise

Rotten Tomatoes über “Apocalypse Now Redux”

Wikipedia über „Apocalypse Now“ (deutsch, englisch)

Schnittberichte: Vergleich der Kino- mit der „Redux“-Fassung

Awesome Film: Drehbuch “Apocalypse Now” von John Milius (Fassung vom 3. Dezember 1975)

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas “Apocalypse Now” (Apocalypse Now, USA 1979 – die “Full Disclosure”-Blu-ray)

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas „Twixt – Virginias Geheimnis“ (Twixt, USA 2011)

Francis Ford Coppola in der Kriminalakte