Der exzentrische Starkoch Slowik lädt auf eine abgelegene Insel zu einem Essen ein, das die von ihm ausgewählten Gäste niemals vergessen werden. Falls sie es überleben.
TV-Premiere. Surrealistische Satire, zusammengestellt aus exquisiten Zutaten, aber letztendlich etwas enttäuschend.
mit Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy, Nicholas Hoult, Hong Chau, Janet McTeer, Reed Birney, Judith Light, Paul Adelstein, Aimee Carrero, Arturo Castro, Rob Yang, Mark St. Cyr, John Leguizamo
Lassen wir die ganze Vorgeschichte mit Neu- und Fehlstarts, Reboots und wasauchimmer weg. Es gibt, nach Christoper Reeve, Brandon Routh und Henry Cavill einen neuen Kino-Superman. David Corenswet heißt er und bislang trat er als Schauspieler primär in TV-Serien und Nebenrollen auf. In seiner Filmographie stehen „The Politician“, „Hollywood“, „We own the City“, Pearl“ und „Twisters“.
James Gunn inszenierte nach seinem Drehbuch die Geschichte, die auf die sattsam bekannte Origin Story verzichtet und gleich mitten im Geschehen beginnt. Genaugenommen beginnt sie drei Sekunden nachdem Superman in einem Kampf zum ersten Mal besiegt wird. In seiner im Eis liegenden Festung der Einsamkeit lässt er sich zusammen flicken. Danach geht es in die nächste Runde gegen die von Lex Luthor (Nicholas Hoult) gesteuerte Kampfmaschine. Der unglaublich reiche Unternehmer will Superman unbedingt töten. Gleichzeitig engagiert er sich in Osteuropa. Dort hat gerade ein von ihm militärisch unterstützter Staat seinen Nachbarn überfallen. Zu seinem Ärger griff Superman auf der Seite des überfallenen Landes in den Konflikt ein und drängte die Invasoren für den Moment zurück.
Um diesen im Zentrum stehenden Konflikt gruppiert Gunn weitere kleinere Konflikte, in die eine fast schon unüberschaubare Zahl von Superhelden und Superbösewichtern involviert sind. Unter anderem treten ‚Green Lantern‘ Guy Gardner (Nathan Fillion mit einer schon jetzt legendär verunglückten Frisur), Mister Terrific (Edi Gathegi), Hawkgirl (Isabela Merced), Metamorpho (Anthony Carrigan), ‚The Engineer‘ Angela Spica (Maria Gabriela de Faría) und Eve Teschmacher (Sara Sampaio) auf. Ihnen allen gibt Gunn einprägsame Auftritte.
Dieses Mal hat Superman mit dem Hund Krypto einen Begleiter, der ihm in der einen Sekunde rettet, danach abschlabbert und eine Sekunde später beißt. Er ist ein immer als CGI-Hund erkennbarer Comic Relief, der für einige Lacher sorgt. Das reale Vorbild für Krypto war ein von James Gunn adoptierter Hund, der sich ähnlich psychotisch verhielt.
Und natürlich muss Superman in Metropolis auch als harmloser ‚Daily Planet‘-Journalist Clark Kent auftreten und sich mit seiner großen Liebe Lois Lane (Rachel Brosnahan), wie in einer Screwball-Comedy, zoffen. Sie, und anscheinend halb Metropolis, weiß, dass Kent Superman ist.
Gunn, der Regisseur der drei „Guardians of the Galaxy“-Filmen und von „The Suicide Squad“, inszeniert dies gewohnt humorvoll, pointensicher, brutal und mit einigen überraschenden Wendungen und Enthüllungen. Dabei behält er immer den Überblick über seine im Gedächtnis bleibenden Figuren, die realen und fantastischen Orte (wie das Taschenuniversum) und die verschiedenen Handlungsstränge. Das hat ziemlich genau die Qualität, die man von dem Regisseur von „The Suicide Squad“ erwarten kann: schnörkellose, angenehm respektlose Superheldenunterhaltung von einem Nerd für andere Nerds und das breite Publikum.
Interessant wird sein „Superman“ durch seinen Blick auf den von dem Planeten Krypton kommenden einzigen Überlebenden dieses Planeten.
Er beraubt Superman des weltentrückt-vergeistlichten Pathos, das er in früheren Filmen hatte. Und er trennt die Figur Superman von dem Bild, das er für die Menschheit verkörperte. Superman war in der Vergangenheit nicht nur der an das Gute glaubende Kämpfer für eine bessere Welt und Beschützer der Menschheit, sondern auch die Verkörperung des Bildes das USA von sich hat.
Er repräsentiert in „Superman“ nicht mehr das Land, in dem er lebt, sondern nur noch sich selbst. Oder die ganze Welt, die zu einem friedlichen Ort werden soll.
Diese Trennung verändert auch die anderen Figuren in Supermans Welt und die Strukturen der Welt. Lex Luthor ist nicht mehr der größenwahnsinnige Milliardär und Comic-Bösewicht, der irgendetwas in den USA zerstören will, sondern ein auch in der Rüstungsindustrie, dem Betrieb von Gefängnissen und militärischer und möglicherweise ziviler Forschung aktiver Unternehmer, der die Menschheit vor Gefahren retten will. Eine dieser Gefahren ist Superman, ein aus dem Weltraum kommender, unbesiegbarer, mit Superkräften ausgestatteter, selbsternannter Heilsbringer. Er ist sozusagen die Verkörperung von Gottes Sohn, die behauptet, den Menschen helfen zu wollen. Aber stimmt das? Luthor arbeitet bei der Umsetzung seiner Ziele mit der US-amerikanischen Regierung zusammen.
Und schon drängt sich – auch wenn das von den Machern bei den Dreharbeiten so nicht geplant sein konnte – eine politische Lesart des Films auf, die erstaunlich präzise die aktuelle Situation in den USA beschreibt.
James Gunn zeigt Bilder, die aus den Nachrichten stammen könnten. So wird Superman, als er sich freiwillig stellt, von Polizisten brutal auf den Boden gepresst. Später kommt er in ein Gefängnis, das von Lex Luthor im Auftrag der Regierung geführt wird. Nach außen ist es ein drakonisch geführtes militärisches Zeltlager abseits der Zivilisation. Nach innen ist es ein Verlies. Aus dem Verlies sollen die mehr oder weniger illegal gehaltenen Gefangenen niemals wieder entkommen.
In den realen Nachrichten wird in den Trump-USA gegen Ausländer gehetzt, Razzien von vermummten, schwerbewaffneten ICE-Agenten durchgeführt, über Kasernierungen an möglichst ungastlichen und abgelegenen Orten nachgedacht und Abschiebungen ohne ein reguläres Gerichtsverfahren in andere Länder durchgeführt. In dieser Politik sind Grausamkeit und Menschenverachtung kein individuelles Versagen, sondern Absicht und Ziel der Maßnahme. Die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und davon profitierenden Unternehmen ist folgerichtig. Von all den Milliardären, die sich in Trumps Umfeld befinden, ist Elon Musk die schillerndste Figur. Sie wirkt wie eine realweltliche Version von Lex Luthor.
Die gegen das Völkerrecht verstoßende Besetzung eines Landes ist dann nicht mehr ein in einem filmischen Nirgendwo stattfindender Konflikt, sondern ein erstaunlich präziser Kommentar zum Ukraine-Krieg und den unterschiedlichen Interessen an dem Kriegsgebiet. Wenig überraschend heizt Luthor den Konflikt mit seinen Waffen an. Es gibt wertvolle Rohstoffe im Kriegsgebiet, die er haben möchte.
In dem Film bleibt es bei der Zustandsbeschreibung. Eine politische Analyse und damit verbundene Lösungsvorschläge gibt es nicht. Die von Gunn vorgeschlagene Lösung bleibt im Rahmen des Superheldenkinos: Superman und weitere Metawesen (vulgo Superhelden) sorgen künftig für Recht und Ordnung. Für die Realität ist das natürlich keine Lösung.
Insgesamt ist James Gunns „Superman“ eine sehr interessante Neuinterpretation von Superman. Er wirft Ballast weg. Es gibt Humor, Anspielungen auf andere Superhelden-Comics und -Filme, einige überraschende Wendungen und reichlich Action.
P. S.: Es gibt nach dem Abspann eine witzige, für diesen oder den nächsten Film nicht essenzielle Szene.
Superman (Superman, USA 2025)
Regie: James Gunn
Drehbuch: James Gunn (basierend auf der von Jerry Siegel und Joe Shuster erfundenen Figur)
mit David Corenswet, Rachel Brosnahan, Nicholas Hoult, Nathan Fillion, Edi Gathegi, Isabela Merced, Anthony Carrigan, Maria Gabriela de Faría, Skyler Gisondo, Wendell Pierce, Mikaela Hoover, Beck Bennett, Sara Sampaio, Alan Tudyk, Bradley Cooper, Michael Rooker, Pom Klementieff, Pruitt Taylor Vince, Neva Howell, Frank Grillo, Jake Tapper, John Cena (teils nur Cameos oder weniger)
Stur wie ein Maultier macht Clint Eastwood einfach weiter. Schon seit Jahren stellt sich bei jedem neuen Eastwood-Film die Frage, ob es sein letzter Film ist. Und ein Jahr später läuft sein nächster Film im Kino. Nur Warner Bros, die Firma, mit der er seit Jahrzehnten zusammenarbeit und für die er ein Garant für gute Einnahmen ist, verhielt sich in den USA schäbig. Anstatt seinen neuesten Film „Juror #2“, wie gewohnt, regulär in die Kinos zu bringen, verbuddelte sie ihn in ihrem Streamingdienst Max und gab ihm einen Pseudo-Mini-Kinostart. So als ob die Namen „Clint Eastwood“ und „Nicholas Hoult“ nicht zugkräftig wären.
In Deutschland läuft der Gerichtsfilm, wie auch in anderen Ländern, regulär im Kino.
„Juror # 2“ ist Eastwoods 42. Film als Regisseur und es ist wieder ein gelungener Film. Es ist ein im positiven Sinn altmodischer Film, bei dem die Schauspieler und die Story im Mittelpunkt stehen. Die Bilder sind unauffällig und präzise komponiert. Auch wenn ein großer Teil des Films im Gericht spielt, gelingten Eastwood und seinem Kameramann Yves Bélanger (u. a. die Eastwood-Filme „The Mule“ und „Der Fall Richard Jewell“) Bilder, in denen man immer das gesamte Bild, also auch die Schauspieler, die gerade nichts sagen, im Auge behalten sollte. Den Schnitt übernahm, wie seit 1976 bei Eastwood-Filmen gewohnt, Joel Cox.
Die Story entwickelt sich von ihrer bestechend einfachen Prämisse auf weitgehend vertrauten Pfaden hin zu einem durchaus überraschendem Ende. Bis dahin stellt der Gerichtsfilm einige zum Nachdenken anregende Fragen. Die erste ist natürlich: Was würde ich tun?
Im Mittelpunkt der in der US-Provinz spielenden Geschichte steht der für ein regionales Lifestyle-Magazin schreibende Journalist Justin Kemp (Nicholas Hoult). Er ist ein trockener Alkoholiker, Mitglied bei den Anonymen Alkoholikern und glücklich verheiratet. Seine Frau ist schwanger. Gemeinsam freuen sie sich auf ihr gemeinsames Leben zu dritt. Er hat ein glückliches Leben verdient. Das Amt als Geschworener nimmt er an, weil es seine Pflicht als Bürger ist.
Als die Anklage den Geschworenen den Fall präsentiert, klappt ihm die Kinnlade runter. James Michael Sythe ist angeklagt, nach einem Streit in einer Bar seine Freundin ermordet zu haben. Sythe ist gewalttätig, cholerisch und vorbestraft. Ihm ist die Tat zuzutrauen und, nun, wenn er diese Tat nicht begangen hat, dann hat er bestimmt eine andere schlimme Tat begangen.
Kemp klappt die Kinnlade runter, weil er in der verregneten Oktobernacht ebenfalls in der Bar war und auf dem Heimweg über etwas fuhr. Er hielt an, sah nichts und fuhr nach Hause. Jetzt fragt er sich, ob er damals nicht ein Tier, das in den Wald weglief, sondern Kendall Carter überfuhr. Er fragt sich, was er tun soll, was er tun kann und ob er überhaupt etwas tun soll. Immerhin ist er nur einer der zwölf Geschworenen und es ist, so die Anklage, ein klarer Fall.
Der Kriminalfilm „Juror #2“ ist überaus gelungenes Schauspielerkino mit vielen bekannten und guten Schauspielern in teils kleinen, aber eindrücklichen Rollen. Neben Hoult spielen Toni Collette, J. K. Simmons, Kiefer Sutherland, Chris Messina und Zoey Deutch mit. Die von Jonathan Abrams geschriebene Geschichte entwickelt sich stringent und mit einigen überraschenden Wendungen bis zum letzten Bild.
Clint Eastwood braucht keine zwei Stunden, um diese Geschichte in all ihren Facetten zu erzählen. „Juror #2“ ist kein auf den ersten Blick erkennbares, alle Preise abräumendes Meisterwerk, aber es ist ein seiner Geschichte und den Schauspielern vertrauender Film, den man sich unbedingt im Kino ansehen sollte.
Nach dem etwas enttäuschenden und aus der Zeit gefallenen „Cry Macho“ wäre „Juror #2“, wenn es denn wirklich Eastwoods letzter Film ist, ein überaus würdiger Abschied.
Juror #2 (Juror #2, USA 2024)
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Jonathan Abrams
mit Nicholas Hoult, Toni Collette, Zoey Deutch, Kiefer Sutherland, Gabriel Basso, Francesca Eastwood, Leslie Bibb, Chris Messina, J. K. Simmons, Amy Aquino
Für Robert Eggers war „Nosferatu“ ein lange gehegtes Herzensprojekt. Schon als Kind war er von Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ fasziniert. An der Highschool schrieb er eine Bühnenadaption, die auch aufgeführt wurde. Nach seinem Regiedebüt schrieb er ein Drehbuch für eine damals geplante Verfilmung. Die Pläne für eine Verfilmung zerschlugen sich in den folgenden Jahren immer wieder. Eine Zeit lang dachte Eggers auch, dass er niemals seine Nosferatu-Version verfilmen könnte. 2023 konnte er sie dann doch verfilmen.
Cineasten kennen und lieben Eggers für „The Witch“ (2016), „Der Leuchttum“ (2019) und „The Northman“ (2022), den ich optisch überzeugend, storytechnisch mehr als enttäuschend fand.
Jetzt läuft seine Version der bekannten Dracula-Geschichte im Kino und nachdem Bram Stokers Roman seit den ersten Tagen des Kinos unzählige Male verfilmt wurde, stellen sich natürlich sofort zwei Fragen: Wie überzeugend ist die Neuinterpretation? Und wie gut kann sie gegen die bekannten Versionen der Geschichte bestehen? Das wären unter anderem Tod Brownings „Dracula“ (1930 mit Bela Lugosi als Dracula), Terence Fishers „Dracula“ (1958 mit Christopher Lee als Dracula) und Francis Ford Coppolas „Bram Stoker’s Dracula“ (1992 mit Gary Oldman als Dracula).
Es gibt auch Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (1922, mit Max Schreck als, nun Dracula, der hier Orlok bzw. Nosferatu heißt) und Werner Herzogs eigenständiges Remake „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1979, mit Klaus Kinski als Blutsauger). „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ bediente sich der „Dracula“-Geschichte, hatte aber die Rechte an Bram Stokers Roman nicht erworben. Das führte kurz nach dem Filmstart zu einer letztendlich erfolgreichen Klage von Bram Stokers Witwe.
Und dann gibt es noch zahlreiche mehr oder weniger freie, mehr oder weniger gelungene Erzählungen der Dracula-Geschichte. Genannt seien hier Dario Argentos misslungener „Dracula“ (2012) und der sehr gelungene BBC-Dreiteiler „Dracula“ von 2020. Die „Sherlock“-Macher Steven Moffat und Mark Gattis interpretierten die Geschichte für die Gegenwart und verlegten sie teilweise auch in die Gegenwart. Jonny Campbell, Damon Thomas und Paul McGuigan übernahmen die Regie. Claes Bang verkörperte den überaus charismatischen und verführerischen Grafen mit spürbarer Lust am Verführen, Beißen und Aussagen seiner Opfer.
Eine Sonderstellung hat E. Elias Merhiges „Shadow of the Vampire“ (2000), das als „Making of“ gleichzeitig eine Hommage und liebevolle Satire über Murnaus „Nosferatu“ ist. Mit Willem Dafoe als Max Schreck.
Nun präsentiert Robert Eggers seine Version der bekannten Geschichte. Er bezieht sich in seinem Dracula-Film explizit auf Murnaus Stummfilm, der „vor allem ein expressionistischer Gegenentwurf zum ‚Dracula‘ aus der Zeit nach der schwarzen Romantik“ (Georg Seeßlen, epd film 1/2025) ist. Die Geschichte darf nach all den Verfilmungen und dem heute immer noch populärem Roman als bekannt vorausgesetzt werden.
1838 wird der in der Ostsee-Hafenstadt Wisborg lebende junge, glücklich verheiratete Immobilienmakler Thomas Hutter (Nicholas Hoult) beauftragt, nach Transsylvanien zu reisen. Dort soll er Graf Orlok (Bill Skarsgård) treffen und den Vertrag für den Kauf eines Herrenhauses in Wisborg abschließen.
Der ziemlich seltsame Graf Orlok unterzeichnet den Vertrag und kurz darauf erkundet der Vampir nach Sonnenuntergang sein neues Jagdrevier Wisborg. Besonders interessiert er sich für Hutters Frau Ellen (Lily-Rose Depp).
Eggers inszeniert seine top besetzte Dracula-Variante sehr Stummfilm-Stilbewusst. Die von seinem Stamm-Kameramann Jarin Blaschke gemachten Bilder und das gewählte Bildformat erfreuen das Auge des Cineasten, der während des gesamten Films viele Anspielungen entdecken kann. Es gibt also genug Material für einige Universitätsseminare.
Aber hinter den Bildern ist nichts. In Vampirgeschichten geht es immer um Sex, Begehren und der Austausch von Körperflüssigkeiten, der bevorzugt durch einen Biss in den Hals erfolgt. Davon ist bei Eggers nichts zu spüren. Zugegeben: er zeigt viel nackte Haut. Aber Nacktheit hat – auch wenn wir uns Eggers‘ Nosferatu ansehen – nicht unbedingt etwas mit Erotik und Begehren zu tun.
Eigentlich sagt schon ein Bild am Filmanfang alles über den Film und sein größtes Problem. Eggers zeigt in einer Totalen eine junge Frau, die Mitten in der Nacht in einem Garten in einem Nachthemd auf der Wiese liegt und sich selbst befriedigt. Das kann auch über den Film gesagt werden: künstlerische, von sich und seiner Bedeutung bedingungslos überzeugte Selbstbefriedigung, die genau das vermissen lässt, was Dracula/Nosferatu ausmacht.
„Nosferatu – Der Untote“ ist prüdes lustfeindliches Ausstattungskino und so aufregend wie der längliche Besuch in einem Museum, in dem der Führer einem noch ein Schmuckstück der historischen Sammlung zeigen will.
They want me dead (Those who wish me dead, USA/Kanada 2021)
Regie: Taylor Sheridan
Drehbuch: Charles Leavitt, Taylor Sheridan
LV: Michael Koryta: Those who wish me dead, 2014 (Die mir den Tod wünschen)
Feuerspringerin Hannah Faber sitzt als Brandmelderin in Montana im Wald auf einem Wachturm. Während ihres Dienstes entdeckt sie den zwölfjährigen Connor. Der Junge wird von zwei Killern gejagt. Sie will Connor retten. Da zünden die beiden Killer den Wald an.
TV-Premiere (nachdem der Thriller während der Coronavirus-Pandemie seine deutsche Premiere bei Sky als VoD hatte). Die Kritik meint: gut inszenierter und gespielter Old-School-Thriller vor prächtiger Landschaft
mit Angelina Jolie, Finn Little, Nicholas Hoult, Jon Bernthal, Aidan Gillen, Medina Senghore, Jake Weber, Tyler Perry
Drehbuch: George Miller, Brendan McCarthy, Nico Lathouris
Mad Max (Tom Hardy) flüchtet mit Imperator Furiosa (Charlize Theron) und einigen Frauen vor Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) durch die Wüste.
Action satt in einer zweistündigen Leistungsschau der Stuntmänner, der Kameraleute und der CGI-Leute. Im Gegensatz zu den meisten Kritikern war ich nicht so wahnsinnig begeistert von diesem vierten „Mad Max“-Film.
Zombies sind auch nur Menschen, die sich verlieben können. Jedenfalls passiert das dem Zombie R. Nachdem er ein Gehirn verspeist hat, ist er verliebt in Julie, die Freundin seines letzten Opfers.Und sie findet R auch ganz sympathisch.
Herzige Zombie-Teenie-Romanze mit Romeo-und-Julia-Touch.
Wenn R. M. Renfield doch nur wüsste, wie er sich aus seiner aktuellen Beziehung befreien könnte, würde er es wahrscheinlich gerne tun. Doch bis dahin besucht er eine Selbsthilfegruppe und baut sich am verständnisvollem Zuspruch der anderen Gruppenmitglieder moralisch auf. Dass sie ihm nicht helfen können und ihn falsch verstehen, ignoriert er. Denn er ist nicht in irgendeiner toxischen Beziehung mit irgendeinem Narzissten, sondern er ist der servile Diener von Graf Dracula und Graf Dracula ist, nun, kein normaler Chef. Auch die Arbeiten, die Renfield für Dracula erledigt, sind nicht normal. Denn er muss im Moment Blut, das der Vampir Dracula zum Überleben braucht, besorgen.
Auf einem seiner Streifzüge durch das nächtliche New Orleans trifft Renfield auf Rebecca. Sie ist eine resolute Verkehrspolizistin, die sich ständig verbal mit ihrem Chef anlegt und eine äußerst skrupellose, brutale, die Stadt beherrschende Gangsterbande zur Strecke bringen will. Deshalb wollen die von ihr gejagten Lobos sie umbringen. Als Renfield einen Anschlag der Gangster auf Rebecca beobachtet, greift er ein und verhindert den Plan der Lobos. Dabei verliebt er sich in die Polizistin. Plötzlich glaubt er, er könne sich mit ihrer Hilfe aus seiner Beziehung zu Dracula befreien. Bis dahin will er zunächst die Blutbeschaffung für seinen Herrn ändern, indem er einfach Mitglieder der Lobo-Familie als Blutlieferanten nimmt.
Und schon wird New Orleans zu einem blutigen Spielfeld.
„Renfield“, inszeniert von Chris McKay, nach einem Drehbuch von Ryan Ridley und einer Idee von „The Walking Dead“-Erfinder Robert Kirkman richtet sich primär an gestandene Horrorfilmfans, die ihren Dracula kennen, nichts gegen Humor haben und eine ordentliche Portion Splatter wollen. Dieser wird in diesem Fall leider mit zu viel schlechter CGI präsentiert.
Die dürfen sich über viele mehr oder weniger offensichtliche Anspielungen auf ältere Interpretationen von Bram Stokers Roman freuen. Vor allem Tod Brownings 1931er „Dracula“ stand Pate. Der Anfang von „Renfield“ ist ohne Brownings Film überhaupt nicht denktbar. In ihrem Spiel zitieren Nicolas Cage als Dracula und Nicholas Hoult als Renfield lustvoll ältere Versionen von Dracula und Renfield.
Awkwafina, als dritte im Bunde, ist die toughe, humorbefreite Polizistin der Dirty-Harry/Axel-Foley-Schule. Ständig ist die wortgewaltige Verkehrspolizistin im verbalen Kleinkrieg mit ihrem Chef. Und irgendwann auch im Krieg mit den Lobos, die anscheinend die gesamte Polizei von New Orleans geschmiert haben.
Die in großen Schritten in Richtung Slapstick gehenden Splatter- und Actionszenen sind hoffnungslos übertrieben und deshalb, vor allem wenn Menschen sterben, immer gut für einen Lacher.
McKays Horrorkomödie ist allerdings nie so gut, wie sie gerne wäre und sein könnte. Aber für den Horrorfan, der sich gerne in deutlich erkennbaren Zitate suhlt, sich über das Erkennen versteckterer Anspielungen freut, Klischeefiguren und Klischeedialoge als ironische Doppeldekodierung interpretiert und nicht allzu genau über den arg luftigen Plot nachdenkt, ist „Renfield“ ein kurzweiliger und blutiger Spaß, der vor allem von dem Paar Nicolas Cage/Nicholas Hoult lebt.
Renfield(Renfield, USA 2023)
Regie: Chris McKay
Drehbuch: Ryan Ridley (nach einer Idee von Robert Kirkman)
mit Nicholas Hoult, Nicolas Cage, Awkwafina, Shohreh Aghdashloo, Ben Schwartz, Adrian Martinez, Brandon Scott Jones
Die Karte sieht überaus prächtig aus. Die Zutaten und die gereichten Gerichte ebenso. Aber die Ausführung, vor allem das Finale, enttäuscht dann doch etwas.
Angerichtet wird das Menü von Sternekoch Slowik. Mit seinen Angestellten lebt er auf einer Insel. In dem auf der Insel liegendem Edelrestaurant bewirtet er nur wenige Gäste, die dafür einen auch nach Sterne-Niveau astronomisch hohen Preis zahlen.
Für diesen Abend hat Slowik sich ein besonderes Menü ausgedacht. Die an den sechs Tischen sitzenden zwölf Gäste sind sorgfältig ausgewählt. Die einzelnen Gänge des Menüs sind für jeden Gast speziell angerichtet. Sie berücksichtigen seinen Geschmack und sein Leben.
Zu den Gästen gehören ein älteres Ehepaar, das schon mehrmals Slowiks Essen genossen hat, drei unangenehm auffallende Executives einer High-Tech-Firma, ein snobistischer Schauspieler, der nach seiner Schauspielkarriere eine Reise-Food-Sendung moderiert, mit seiner an eine Kündigung denkenden Assistentin, eine aufgedonnerte Restaurantkritikerin mit ihrem Redakteur und ein junger Mann, der ein fanatischer Fan von Slowik und seinem Essen ist. Dieser Foodie, der stundenlang über Essen reden kann, sorgt schon beim Empfang für die erste Irritation im sorgfältig geplanten Ablauf. Er hat nicht seine namentlich angekündigte Freundin, sondern eine Escort-Dame mitgebracht. Für sie ist Essen keine hohe Kunst, sondern schnöde Nahrungsaufnahme. Aber wenn ihr Kunde sie mitnehmen und ihr ihr Essen bezahlen will, dann begleitet sie ihn.
Vor dem Essen zeigt ihnen Slowiks Assistentin die Gärten und die Schlafbaracken des Personals. Den allseits bewunderten und verehrten Slowik sehen sie zum ersten Mal im Restaurant. Dort tritt er als Küchenmeister auf, der gerne laut in die Hände klatscht und ihnen befiehlt, das Essen zu genießen. Das Fotografieren des Essens verbietet er ihnen.
Der Foodie tut es trotzdem (Hey, warum haben Slowiks Leute am Eingang nicht die Handys eingesammelt?). Slowik äußerst sein Mißfallen so nachdrücklich, dass der Essensfotograf eingeschüchtert auf weitere Bilder verzichtet.
Das ist allerdings nur der erste Gang von einem Essen, das mit jedem Gang weiter eskaliert. Der diabolische Küchenmeister hat jedes einzelne Gericht für eine bestimmten Gast komponiert hat. Er kennt die Geheimnisse seiner Gäste, wie Betrug und Ehebruch. Und er verewigt sie in seinen Gerichten.
Außerdem soll der heutige Abend ein besonderer, ein einmaliger, für alle unvergesslicher Abend werden.
Natürlich ist „The Menu“, geschrieben von Seth Reiss und Will Tracy, inszeniert von Mark Mylod, kein realistischer Film, der auch nur im entferntesten ein auch nur halbwegs reales Abendessen nacherzählt. Spätestens nachdem einem Gast ein Finger abgetrennt wird, ist das offensichtlich. „The Menu“ ist eine surrealistische Satire. Das Menü ist nur der Anlass, um etwas über die Gesellschaft zu sagen.
Trotzdem, oder gerade deswegen, fällt spätestens beim Hauptgang auf, dass bei diesem letzten Menü eine wichtige Zutat fehlt.
Denn alle Figuren bleiben leere Schablonen, über die wir kaum etwas erfahren und das, was wir erfahren, erklärt nicht, warum Slowik gerade sie für diesen Abend auserwählte. Sie sind keine Agatha-Christie-Rätselkrimi-Gesellschaft, in der jeder einen guten Grund hat, den Mord zu begehen, sondern eindimensionale Platzhalter für Gäste, die an jedem Abend in jedem Restaurant auftauchen. Natürlich ist ein fanatischer Fan nervig. Aber hat er deshalb den Tod verdient? Das gleiche gilt für einen vermögenden Gast, der nur deshalb in diesem Restaurant isst, weil er es sich leisten kann. Entsprechend rätselhaft und grotesk ist das Missverhältnis von der Bedeutungslosigkeit der Gäste und Slowiks Wunsch, sich an ihnen zu rächen.
Auch Slowik ist nur ein Platzhalter, der gut in die Hände klatschen und fies grinsen kann. Ralph Fiennes freut sich erkennbar, diesen kalten, perfektionistischen Koch zu spielen.
Am Ende ist „The Menu“ eine Übung in Stil über Substanz. Oder, kulinarisch gesagt: sieht gut aus, macht nicht satt.
The Menu (The Menu, USA 2022)
Regie: Mark Mylod
Drehbuch: Seth Reiss, Will Tracy
mit Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy, Nicholas Hoult, Hong Chau, Janet McTeer, Reed Birney, Judith Light, Paul Adelstein, Aimee Carrero, Arturo Castro, Rob Yang, Mark St. Cyr, John Leguizamo
Drehbuch: George Miller, Brendan McCarthy, Nico Lathouris
Mad Max (Tom Hardy) flüchtet mit Imperator Furiosa (Charlize Theron) und einigen Frauen vor Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) durch die Wüste.
Action satt in einer zweistündigen Leistungsschau der Stuntmänner, der Kameraleute und der CGI-Leute. Im Gegensatz zu den meisten Kritikern war ich nicht so wahnsinnig begeistert von diesem vierten „Mad Max“-Film.
Zombies sind auch nur Menschen, die sich verlieben können. Jedenfalls passiert das dem Zombie R. Nachdem er ein Gehirn verspeist hat, ist er verliebt in Julie, die Freundin seines letzten Opfers.Und sie findet R auch ganz sympathisch.
Herzige Zombie-Teenie-Romanze mit Romeo-und-Julia-Touch.
Manchmal hat man weniger Zeit als gedacht und in vollen Zügen zu arbeiten ist auch nicht so prickelnd. Vor allem wenn ein selbsternannter, bierbäuchiger und biertrinkender Männergesangsverein gerade Weihnachtslieder entdeckt.
Daher gibt es jetzt die Kinoneustarts der Woche, leicht geordnet, aber nicht unbedingt in der Reihenfolge des Gefallens und ihrer Bedeutung
Als mitten in der Nacht im ländlichen Kansas ein unbekanntes Objekt vom Himmel herabfällt, unterbrechen Tori und Kyle Breyer ihr Liebesspiel.
Zwölf Jahre später entwickelt sich ihr über alles geliebter Junge Brandon prächtig. In der Schule ist er ungewöhnlich gut, aber er ist auch extrem jähzornig und er interessiert sich für ein in der Scheune vor ihm verstecktes Objekt.
„Brightburn: Son of Darkness“, produziert von „Guardians of the Galaxy“ James Gunn, inszeniert von David Yarovesky nach einem Drehbuch von Brian und Mark Gunn, ist ein kleiner SF-Horrorthriller, in dem der vom Himmel herabgefallene Alien Brandon zu Beginn seiner Pubertät kein netter Junge mehr ist, sondern ein richtiger rachsüchtiger Fiesling wird. Sozusagen Bad Superman.
Yarovesky konzentriert sich in dem B-Picture auf wenige Figuren, verzichtet auf epische Subplots und erzählt die Geschichte für heutige Verhältnisse erstaunlich langsam und, immerhin ist James Gunn involviert, humorfrei.
„Brightburn“ ist ein kleiner, sympathischer Film für den Genrejunkie. Ein robuster Magen ist empfehlenswert.
Brightburn: Son of Darkness (Brightburn, USA 2019)
Regie: David Yarovesky
Drehbuch: Brian Gunn, Mark Gunn
mit Elizabeth Banks, David Denman, Jackson A. Dunn, Abraham Clinkscales, Christian Finlayson, Jennifer Holland, Emmie Hunter, Matt Jones, Michael Rooker
Weiter geht es mit einem Biopic über John Ronald Reuel Tolkien, den Autor von „Herr der Ringe“.
Regie führte „Tom of Finland“-Regisseur Dome Karukoski. „Pride“-Autor Stephen Beresford und David Gleeson schrieben das Drehbuch. Nicholas Hoult übernahm die Hauptrolle. Und trotzdem ist das Biopic ein dröges Werk, das chronologisch vor allem Tolkiens Kindheit, Jugend und jungen Erwachsenenjahre abhandelt. Es geht um seine Liebe zu Edith Bratt, die er mit sechzehn Jahren kennenlernte und später heiratete. Edith starb 1971; Tolkien 1973. Es geht um seine künstlerisch und literarisch interessierten Schulfreunden Robert Gilson, Geoffrey Smith und Christopher Wiseman, mit denen er die „Tea Club and Barrovian Society“ (TCBS) gründete. Und es geht um seine Erlebnisse während des Ersten Weltkriegs in den Schützengräben, die ihn zu seinen Fantasy-Werken inspirierten. Das wird so spannungsfrei erzählt, dass „Tolkien“ vor allem für Fans von „Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“ ist, die jetzt etwas über den Autor dieser Epen erfahren wollen.
Tolkien (Tolkien, USA 2019)
Regie: Dome Karukoski
Drehbuch: David Gleeson, Stephen Beresford
mit Nicholas Hoult, Lily Collins, Colm Meaney, Derek Jacobi
Dr. Kaveh Nariman ist in Teheran ein äußerst gewissenhafter Gerichtsmediziner. Als er eines Nachts auf dem Heimweg eine vierköpfige, auf einem unbeleuchteten Motorrad fahrende Familie touchiert, verletzt sich deren achtjähriger Sohn Amir leicht am Kopf. Erst nachdem Amirs Vater etwas Geld von ihm annimmt und ihm versichert, dass er seinen Sohn zu einem Krankenhaus fahren wird, lässt Nariman die Familie weiterfahren.
Am nächsten Tag erfährt Nariman, dass der Junge verstorben ist. Er fragt sich, ob er dafür verantwortlich ist. Er ordnet Untersuchungen an und auch als die Obduktion ergibt, dass Amir an einer Lebensmittelvergiftung gestorben ist, lässt er nicht locker.
Vahid Jalilvands „Eine moralische Entscheidung“ ist für mich ein zwiespältiger Film. Auf der einen Seite zeigt Jalilvand mit bitterer Konsequenz, wie eine Handlung eine andere zur Folge hat. Nariman und Amirs Vater verstricken sich dabei in Schuld und Schuldgefühlen. Jalilvand zeichnet außerdem ein hochinteressantes und komplexes Bild der iranischen Gesellschaft, die angesichts der Nachrichtenmeldungen und -bilder aus dem Gottesstaat, erstaunlich westlich ist. Alle Figuren sind vor allem mit weltlichen Problemen beschäftigt. Die Religion ist ihnen da herzlich egal.
Auf der anderen Seite konnte ich Narimans Problem und sein damit verbundenes Tun immer weniger nachvollziehen. Anstatt als rationaler Wissenschaftler das Ergebnis der gründlichen, von einer Kollegin durchgeführten Untersuchung zu akzeptieren, setzt er alle Hebel in Bewegung, um einen Beweis zu finden, der ihn für den Tod des Jungen verantwortlich macht.
Eine moralische Entscheidung (No date, no signature [Internationaler Titel], Iran 2017)
Regie: Vahid Jalilvand
Drehbuch: Ali Zarnegar, Vahid Jalilvand
mit Navid Mohammadzadeh, Amir Agha’ee, Hediyeh Tehrani, Zakiyeh Behbahani, Sa’eed Dakh, Alireza Ostedi
Während in „Eine moralische Entscheidung“ Narimans Konflikt immerhin intellektuell nachvollziehbar bleibt, versagt „O beautiful Night“ auf dieser Ebene vollkommen.
Juri ist ein junger Hypochonder, der kaum seine Wohnung verlässt und nach seiner eigenen Erwartung schon lange Tod sein müsste. Als er doch sein Zimmer verlässt, trifft er in einer Bar einen Mann, der behauptet, der Tod zu sein und dass er Juri töten werde. Anstatt sich jetzt mit einem lauten „Endlich, es ist vollbracht!“ seinem Schicksal hinzugeben, lässt Juri sich vom Tod durch ein Panoptikum seltsamer Großstadttypen und -orte schleifen. Immer kurz davor, getötet zu werden.
Eine Geschichte ohne einen Konflikt ist keine Geschichte. So ist Xaver Böhms Debütfilm „O beautiful Night“ eine Ansammlung bizarrer, schnell langweilender Situationen. Immerhin haben sie immer wieder eine morbide Faszination, die wenigstens das Auge erfreut.
Böhms Abschlussfilm „Roadtrip“ an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee war für den First Steps Award und den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert.
O beautiful Night (Deutschland 2018)
Regie: Xaver Böhm
Drehbuch: Xaver Böhm, Ariana Berndl
mit Noah Saavedra, Marko Mandic, Vanessa Loibl, Vincent Rosenow, David Ali Rashed, Elmar Gutmann, Peter Henze
Für „Tal der Skorpione“ konnte Patrick Roy Beckert etliche prominente Namen, sozusagen die üblichen Verdächtigen des Trash-TV und deutscher Proll-Filme, verpflichten. Dass die Jungs mal für Wolfgang Petersen durch „Das Boot“ liefen muss man angesichts ihrer Leistungen im „Tal der Skorpione“ als Jugendsünde verbuchen. Eine Story ist nicht erkennbar. Wahrscheinlich weil schon in der ersten Minute, bei einer epischen Ballerei in einer Sandgrube, das Drehbuch zerschossen wurde. Danach laufen ein Haufen Männer durch einen Wald, der „Breakdown Forest“ (gleichzeitig der ursprüngliche Filmtitel und internationale Titel) genannt wird. Sie ballern, ballern, ballern und ballern. Viel Blut spritzt. Also sehr viel Blut. Es gibt einige Kloppereien. Dazwischen gibt es Explosionen und tiefergelegte Prollsprüche. Manchmal erkennbar geklaut aus anderen Filmen. Ach ja: und Micaela Schäfer stellt ihre Talente aus.
Die irgendwann erahnbare Story ist eine weitere Variante von „Graf Zaroff – Genie des Bösen“ (The Most Dangerous Game, USA 1932). Wobei die Macher sich wohl eher an „Harte Ziele“ (Hard Target, USA 1993) und „Battle Royale“ (Batoru Rowaiaru, Japan 2000) orientieren, ohne auch nur im Ansatz die Qualität dieser Filme zu erreichen. Es geht also um eine Menschenjagd im Wald, in der – hier ist das nicht vorhandene Drehbuch etwas unschlüssig – reiche Menschen arme Menschen jagen oder die Organisatoren durch Bestenauslese den Über-Soldaten finden wollen.
Weil die Figurenzeichnung sich auf die Anwesenheit des Schauspielers beschränkt, ist es auch egal, wer wann warum stirbt. Oder doch nicht stirbt.
Schlechter als ähnlich gelagerte Billigst-US-Werke ist „Tal der Skorpione“ nicht. Aber das Ziel sollte nicht sein, schlechte Imitate schlechter Filme zu machen.
Tal der Skorpione(Deutschland 2019)
Regie: Patrick Roy Beckert
Drehbuch: Patrick Roy Beckert
mit Patrick Roy Beckert, Thomas Kercmar, Bert Wollersheim, Ralf Richter, Martin Semmelrogge, Claude-Oliver Rudolph, Mathieu Carrière, Elena Carrière, Uwe Fellensiek, Micaela Schäfer, Anouschka Renzi, Taynara Wolf, Bert Wollersheim, Dirc Simpson, Mascha von Kreisler
Zum Abschluss ein Dokumetarfilm für den Musikfan: Peter Webber beobachtet für seine Doku „Inna de Yard – The Soul of Jamaica“ die Reggae-Urgesteine Ken Boothe, Winston McAnuff, Kiddus I und Cedric Myton, die es noch einmal wissen wollen. Oberhalb von Kingston proben sie für ein neues Album mit Unplugged-Versionen iher alten Hits und eine Welttournee. Währenddessen porträtiert Peter Webber die Musiker auch privat.
Für Reggae-Fans ist die Doku als Making-of zu dem „Inna de Yard“-Album „The Soul of Jamaica“ natürlich ein Pflichttermin. Für Nicht-Reggae-Fans sind die porträtierten Musiker vor allem eine Ansammlung sympathischer alter Zausel, die immer etwas zu Rauchen griffbereit haben. Über die Geschichte der Reggae-Musik und die kulturelle und politische Bedeutung der Musik erfährt man dagegen so gut wie nichts. Dafür gibt es ein Blättern durch alte LPs, begleitet mit vielen zustimmenden Geräuschen und Halbsätzen, in denen immer wieder gesagt wird, wie toll die LP, der Musiker und die Band seien. Das ist dann doch etwas oberflächlich.
Vor allem weil Webber ein bekennender Reggae-Fan ist, der die Musik schon als Teenager in den 70er Jahren in London hörte.
Inna de Yard – The Soul of Jamaica (Inna de Yard – The Soul of Jamaica, Frankreich 2018)
Regie: Peter Webber
Drehbuch: Peter Webber
mit Ken Boothe, Cedric Myton, Kiddus I, Winston McAnuff, Judy Mowatt, Var, Jah9, Kush McAnuff, Derajah, Bo Pee, Steve Newland, Lloyd Park
Wo soll ich nur anfangen bei diesem Totaldesaster? Vielleicht mit zwei Hinweisen.
Erstens: die „X-Men“-Filme waren immer mal besser, mal schlechter. So war der letzte „X-Men“-Film „Apocalypse“, in dem die X-Men als Gruppe auftreten, schlecht. „Logan“, der letzte Auftritt von Hugh Jackman als Wolverine, war nicht nur der beste „Wolverine“-Film, sondern einer der besten Filme aus dem „X-Men“-Universum. Wenn wir die beiden „Deadpool“-Filme ignorieren. Sie werden zwar zum „X-Men“-Franchise gezählt, aber eigentlich gehören sie nicht in die Welt der X-Men.
Zweitens: dass die Premiere von „X-Men: Dark Phoenix“ mehrfach verschoben wurde und es umfangreiche Nachdrehs gab, sagt nicht unbedingt etwas über die Qualität des Films aus. Manchmal ist der Film, der dann in die Kinos kommt, gelungen. Meistens allerdings nicht.
„X-Men: Dark Phoenix“ gehört zu den Filmen, bei denen irgendwann in der Produktion irgendetwas so gründlich schief lief, dass man nicht erkennt, an welchem Punkt aus einem potentiell grandiosem Blockbuster das Gegenteil wurde. Hier lief einfach alles so schief, dass es keinen Unterschied macht, welche Szenen nachgedreht wurden und welche nicht. Und auch nicht, dass der gesamte dritte Akt verändert wurde. Ursprünglich spielte er im Weltraum. Jetzt spielt er in einem Zug.
Schon die ersten Filmminuten sind beeindruckend schlampig inszeniert. 1975 fahren die Greys auf einer Landstraße. Sie streiten sich über die Musik und die achtjährige Jean Grey, die noch nichts von ihren Kräften ahnt, provoziert einen Autounfall, bei dem ihre Eltern sterben. Das Problem in dieser Szene ist, dass die am Steuer sitzende Mutter sich während der Fahrt immer wieder für längere Zeit zu ihrer auf der Rückband sitzenden Tochter umdreht und niemand sich daran stört, weil Mütter selbstverständlich auch bei gut hundert Stundenkilometern in Gesprächen immer ihrer Tochter tief in die Augen blicken.
Entsprechend sorglos geht es die nächsten zwei Stunden weiter. Dabei sind solche Details, die in einem besseren Film nicht negativ auffallen, ein deutlicher Hinweis auf fundamentale Schwächen im gesamten Film.
Nach dem Unfall wird Jean Grey von Professor Charles Xavier in seine Mutantenschule aufgenommen.
Jahre später gehört sie zu den X-Men, dieser Gruppe hoch- und ungewöhnlich begabter Menschen. Professor Charles Xavier ist der Anführer dieser gesellschaftlichen Außenseiter. Er will, dass die Mutanten keine Außenseiter mehr sind. Dafür müssen sie von der Menschheit als gleichberechtigt anerkannt werden.
1992 ist ihm das gut gelungen. Er trifft sich, ganz Lobbyist in eigener Sache, mit Staatsoberhäuptern. Die X-Men sind eine Truppe, die immer wieder Menschen aus tödlichen Situationen rettet. Als ein Space Shuttle in Gefahr gerät, schickt Xavier sofort eine Rettungsmission los. Die Astronauten können gerettet werden.
Aber ‚Phoenix‘ Jean Grey gerät mit einer unbekannten und rätselhaften Substanz in Kontakt. Danach wird sie körperlich und geistig stärker. Sie will kein Mitglied der X-Men mehr sein. Sie wendet sich gegen ihre Familie. Und sie will mehr über ihre Vergangenheit erfahren. Denn Xavier hat sie über ihre Eltern belogen.
Das muss als Storyskelett genügen, um beliebige Auftritte der verschiedenen X-Men und wenig berauschende CGI-Actionszenen aneinanderzureihen.
Die Schauspieler laufen dabei durch die Landschaft, als hätten sie keine Ahnung, was sie in dem Film zu suchen haben. Jessica Chastain als aus dem Weltall kommende Bösewichtin Vuk verzichtet auf jegliches Schauspiel und steht so ausdruckslos wie ein Pappaufsteller herum. Jennifer Lawrence scheint zu ihrem Auftritt als Raven/Mystique erpresst worden zu sein. James McAvoy ist wieder Professor Charles Xavier (mit wechselnden Frisuren) und Michael Fassbender ist wieder ‚Magneto‘ Erik Lehnsherr. Dieses Mal lebt er als Anführer der Mutanten-Selbstversorger-Hippie-Kommune Genosha auf einer Insel. Beide Schauspieler laufen auf Autopilot durch das Bild.
Sophie Turner hinterlässt in ihrem zweiten Auftritt als ‚Phoenix‘ Jean Grey und als titelgebende, unglaublich mächtige Dark Phoenix ebenfalls keinen nachhaltigen Eindruck. Die Macher sahen das wohl so ähnlich. In den Credits wird sie nämlich erst an fünfter Stelle, nach James McAvoy, Michael Fassbender, Jennifer Lawrence und Nicholas Hoult, genannt.
Offiziell spielt „Dark Phoenix“ 1992. Aber nichts im Film deutet darauf hin, dass der Film in diesem Jahr spielt. Es gibt keinerlei Hinweise auf das Jahr oder popkulturelle Anspielungen, wie sie sogar jede TV-Serie (vollkommen unabhängig von ihrem Budget) hinbekommt. Dass es anders geht, zeigten in den vergangenen Monaten das Neunziger-Jahre-Fest „Captain Marvel“ und das Achtziger-Jahre-Fest „Bumblebee“. Oder die „X-Men“-Filme „Erste Entscheidung“ und „Zukunft ist Vergangenheit“ für die sechziger und siebziger Jahre. „Dark Phoenix“ könnte mit seinen zahlreichen, zeitlich nicht zuordenbaren Innenaufnahmen aus Xaviers Mutantenschule und einem Gefangenentransportzug irgendwann spielen.
Das alte X-Men-Thema, dass sie Außenseiter sind, die zur Gesellschaft dazugehören wollen, wird in „Dark Phoenix“ selbstverständlich auch angesprochen. Im ersten „X-Men“-Film wurde eine Linie von den Konzentrationslagern der Nazis und der Vernichtung der Juden zu den X-Men gezogen.
Spätestens seit der Wahl von Donald Trump und dem Erstarken rechtspopulistischer Einstellungen, wozu Rassismus, Antisemitismus, Ausländer- und Islamfeindlichkeit gehören, ist der Umgang der Mehrheit mit Minderheiten ein brennend aktuelles Thema, das auch in einem 1992 spielendem „X-Men“-Film behandelt werden kann. Die einzige Antwort, die der Film in der Gestalt von Professor Xavier darauf gibt, ist Überanpassung. Um von der Gesellschaft anerkannt und akzeptiert zu werden, müssen die Mutanten besser, fehlerfreier und unterwürfiger sein, als die Menschen. Dieses alte und diskriminierende Konzept von Integration wird im Film nicht weiter problematisiert.
Weil allerdings immer wieder gezeigt wird, dass die Menschen die Mutanten nicht dauerhaft als gleichberechtigt anerkennen wollen, müsste Xavier irgendwann darüber nachdenken, ob sein Konzept von Integration tragbar ist. Denn es ist höchstens kurzfristig erfolgreich.
„X-Men: Dark Phoenix“ ist das Regiedebüt von Simon Kinberg. Er schrieb die Drehbücher zu den „X-Men“-Filmen „Der letzte Widerstand“ (2006), „Days of Future Past“ (2014) und „Apocalypse“ (2016). Außerdem ist er seit seinem ersten „X-Men“-Drehbuch auch als Produzent in die Serie involviert. Man kann ihm also nicht vorwerfen, dass er keine Ahnung vom „X-Men“-Filmuniversum hat. Aber eine tragfähige Idee, wie er die Geschichte der X-Men weiter und wahrscheinlich zu Ende erzählt, hat er in „Dark Phoenix“ nicht.
Denn das „X-Men“-Franchise wanderte durch die jüngsten Firmenverkäufe von Twentieth Century Fox zu den Marvel Studios und Disney. Wie Marvel-Produzent Kevin Feige die Geschichte der X-Men weitererzählt und ob er sie in das Marvel Cinematic Universe integriert, ist noch unklar. Aktuell sind jedenfalls keine weiteren Filme mit diesen X-Men geplant.
X-Men: Dark Phoenix (Dark Phoenix, USA 2019)
Regie: Simon Kinberg
Drehbuch: Simon Kinberg
LV: John Byrne, Chris Claremont: The Dark Phoenix Saga, 1980 (X-Men: Die Dark Phoenix Saga)
Erfinder: Comiccharaktere von Jack Kirby und Stan Lee
mit James McAvoy, Michael Fassbender, Jennifer Lawrence, Nicholas Hoult, Sophie Turner, Tye Sheridan, Alexandra Shipp, Evan Peters, Kodi Smit-McPhee, Jessica Chastain
Für die Fans des britischen Königshauses, die es gerne mit der rosaroten Brille haben, dürften beide Filme nichts sein. Einmal wird Maria Stuart durch die feministische Brille neu betrachtet, einmal gibt es Neid und Missgunst am Hofe von Königin Anne und die Männer stehen, hübsch geschminkt und kostümiert, am Spielfeldrand. Yorgos Lanthimos‘ „The Favourite – Intrigen und Irrsinn“ ist eine grandiose, tiefschwarze Komödie. Josie Bourkes „Maria Stuart, Königin von Schottland“ wirkt dagegen wie ein Lore-Roman.
Als Achtzehnjährige kehrt Maria Stuart (Saoirse Ronan) 1561 als Witwe aus Frankreich nach Schottland zurück. Sie präsentiert sich als freigeistige Herrscherin. Anstatt ihrem Volk die Religion vorzugeben, dürfen sie Protestanten bleiben, während sie Katholikin ist. Für sie ist Schottland nur eine Station auf dem Weg nach London. Denn sie ist, nach der Erbfolge, die rechtmäßige Herrscherin des englischen Königreichs. Ein Anspruch, der während des gesamten Films nie ernsthaft bestritten wird.
Trotzdem will Königin Elizabeth I (Margot Robbie) die Krone nicht abgeben.
Während in den kitschigen Adelsschmonzetten die Liebe im Mittelpunkt steht, geht es in „Maria Stuart, Königin von Schottland“ um die weltliche Macht. Heirat ist dabei nur ein Arrangement, um einen Thronnachfolger zu zeugen. Dafür braucht Maria Stuart einen Mann (den sie als Friedensangebot gegenüber Königin Elizabeth heiratet) und seinen Samen. Dass er homosexuell ist, ist ihr egal. Sowieso geht es an ihrem Hof in jeder Beziehung sehr leger zu.
Das sind in einem Kostümdrama schon einige neue Töne. Aber Theaterregisseurin Josie Rourke gelingt es in ihrem Filmdebüt nicht, daraus mehr als eine längliches Drama zu machen. Der Konflikt zwischen Maria Stuart und Königin Elizabeth stagniert, die Intrigen zwischen weltlicher und geistlicher Macht (bzw. Mächten) und die Heiratspolitik interessiert höchstens Historiker, die diesen Historienstreifen zum Anlass genommen haben, über die richtige Interpretation von Maria Stuart zu streiten. Die können sicher auch sofort erklären, ob der Hofstaat von Mary Stuart wirklich ethisch so divers wie im Film war.
„The Favourite“ ist dagegen grandioses Schauspielerkino, das den Königshof als einziges Intrigantenstadl zeichnet und fröhlich die historische Korrektheit ignoriert. Im Gegensatz zu anderen Filmen, in denen ständig die historische Genauigkeit betont und dann von Fachleuten bestritten wird, werden die Macher von „The Favourite“ nicht müde zu betonen, dass sie sich viele Freiheiten erlaubten. Dem Film schadete es nicht. Es ist ein sehr zeitgenössisches Werk, in dem zwei Frauen um ihre Stelle bei der Königin kämpfen.
Königin Anne (Olivia Colman, grandios!!!) ist die Herrscherin des Königreichs, als es zum Königreich Großbritannien wird und zur Weltmacht aufsteigt. Sie ist kränklich, hat schwere Gicht und ist übergewichtig. Trotz 17 Geburten zeugt sie keinen Thronfolger. Sie war die letzte Regentin aus dem Hause Stuart.
Sie gilt als schwach und manipulierbar. Ihre Cousine und Vertraute Lady Sarah Churchill, Herzogin von Marlborough (Rachel Weisz), übernimmt dagegen die Regierungsgeschäfte.
Ungefähr um 1700 taucht Abigail Masham (Emma Stone) am königlichen Hof auf. Also genaugenommen wird sie mit einem Tritt aus der Kutsche in den Matsch vor dem Palast gestoßen. Schon in dem Moment ist klar, dass Lanthimos Film kein Heile-Welt-Film wird. Mit Abigail ändert sich das Machtgefüge am Hof. Zunächst muss die arme Verwandte der Königin als Magd den Küchenboden schrubben. Doch schnell schleimt sie sich bei der Königin ein.
Lanthinos („The Lobster“, „The Killing of a sacred Deer“) inszeniert einen herrlich dekadenten Zickenkrieg, in dem immer wieder unklar ist, wer hier gerade wen manipuliert und drei Schauspielerinnen brillieren dürfen.
In den vergangenen Wochen wurde der Film zu recht mit Lob, Nominierungen und Preisen überschüttet. Der aktueller Höhepunkt sind die zehn Oscar-Nominierungen in den Kategorien „Bester Film“ (Ceci Dempsey, Ed Guiney, Yorgos Lanthimos, Lee Magiday), „Beste Regie“ (Yorgos Lanthimos), „Bestes Originaldrehbuch“ (Deborah Davis, Tony McNamara), „Beste Hauptdarstellerin“ (Olivia Colman), „Beste Nebendarstellerin“ (Emma Stone), „Beste Nebendarstellerin“ ( Rachel Weisz), „Beste Kamera“ (Robbie Ryan), „Bester Schnitt“ (Yorgos Mavropsaridis), „Bestes Szenenbild“ (Fiona Crombie, Alice Felton) und „Bestes Kostümdesign“ (Sandy Powell).
„The Favourite“ ist ein früher Höhepunkt des diesjährigen Kinojahrs.
Maria Stuart, Königin von Schottland (Mary, Queen of Scots, Großbritannien 2018)
Regie: Josie Rourke
Drehbuch: Beau Willimon
LV: John Guy: Queen of Scots: The True Life of Mary Stuart, 2004
mit Saoirse Ronan, Margot Robbie, Jack Lowden, Joe Alwyn, David Tennant, Guy Pierce, Gemma Chan, Martin Compston, Ismael Cruz Cordova, Brendan Coyle, Ian Hart, Adrian Lester
Erstaunlich ist die Besetzung. Bemerkenswert die Drehorte. Denn „Collide“ wurde in und um Köln gedreht und der Film ist ein Actionthriller, wie wir ihn eigentlich aus den USA gewöhnt sind. Aber die Filmförderung ermöglicht einiges.
US-Amerikaner Casey Stein (Nicholas Hoult) verliebt sich in einer Kölner Disco in Juliette Marne (Felicity Jones) und er schwört ihr, ab jetzt keine kriminellen Geschäfte mehr zu machen. Als er erfährt, dass sie dringend eine Nierentransplantation braucht, beschließt er, für den Dealer Geran (Ben Kingsley) noch einmal einen gut bezahlten Auftrag zu übernehmen. Er soll von Gerans Intimfeind Hagen Kahl (Anthony Hopkins) einen gut gefüllten Drogenlaster klauen.
Gesagt. Getan.
Nach dem Überfall geht einiges schief und Casey donnert bei dem Versuch, seine Freundin aus den erpresserischen Klauen eines skrupellosen Gangsters zu befreien, mit einem Tempo über die Autobahn, das nur in Deutschland erlaubt ist und er verursacht dabei Blechschäden, die einen nach der berühmt-berüchtigten Autobahnpolizei Cobra 11 rufen lassen. Die kommt nicht, weil es, erstens, so im Drehbuch steht, und sie, zweitens, schon lange da ist. Neben „Lethal Weapon“ Joel Silver gehört Hermann Joha zu den Produzenten von „Collide“. Mit seiner Firma „action concept“ produziert Joha auch „Alarm für Cobra 11“, hat für die Stunts etliche Preise gewonnen und Johas Handschrift ist, im Guten wie im Schlechten, im ganzen Film zu spüren.
Die Crashs auf der Autobahn und in den verwinkelten Gassen von Monschau überzeugen mit ihrer handgemachten Authentizität. Es gibt noch mehr Action, die zeigt, dass Deutschland sich hier nicht hinter den USA verstecken muss. Die Action ist auch deutlich nachvollziehbarer als in den aktuellen Luc-Besson-Produktionen, in denen Schnitte und Wackelkamera jede Orientierung verunmöglichen. Die äußerst zäh beginnende und durchgehend vorhersehbare Filmgeschichte hält die Action mühsam zusammen. Die Geschichte ist auch nichts für Realitätsfanatiker, aber sie ist doch bodenständiger und damit weniger Over the Top als die trashigen Besson-Plots.
Die Charaktere sind Klischees. Sir Ben Kingsley mutiert zu einem chargierenden türkischen Ghettoganster, den wir so ähnlich schon in einigen grenzdebilen TV-Krimis ertragen mussten. Sir Anthony Hopkins zieht sich als sein Gegenspieler höflich aus der Affäre, indem er den gesitteten Gangster im Anzug spielt. Die deutschen Schauspieler haben nur kurze Auftritte und Felicity Jones ist halt die Damsel in Distress, die von Nicholas Hoult gerettet wird. Der durfte schon in „Mad Max: Fury Road“ Benzin schnuppern. Da überrascht nichts. Auch nicht die Schlusspointe.
Wer allerdings sehen will, wie ziemlich CGI-freie Action (ohne CGI geht ja nichts mehr) in Köln und Monschau und der Autobahn dazwischen aussieht, sollte sich „Collide“ ansehen.
Seit den Sechzigern geht es abwärts. Sagen einige und sie verweisen auf die Musik der 68er und behaupten, dass danach nichts mehr kam.
Wenn man sich die letzten drei „X-Men“-Filme ansieht, die natürlich eine Trilogie sind, die jetzt mit „X-Men: Apocalypse“ (nach einem Drehbuch von Simon Kinberg) ihren Abschluss findet, möchte man diesen Kulturpessimisten zustimmen. „X-Men: Erste Entscheidung“ (X-Men: First Class) spielte 1962 und es war, nachdem „X-Men: Der letzte Widerstand“ (X-Men: The Last Stand) (ebenfalls nach einem Drehbuch von Simon Kinberg) nicht besonders überzeugend war, ein grandioser Neustart, bei dem alles stimmte. Bei „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ (X-Men: Days of Future Past) (yep, Drehbuch Simon Kinberg) war Bryan Singer, der Regisseur der ersten beiden „X-Men“-Filme wieder an Bord, ebenso die Schauspieler aus den ersten „X-Men“-Filmen und der Film spielte einerseits in der Zukunft und andererseits, dank einer beherzten Zeitreise von Wolverine in der Vergangenheit, genaugenommen 1973, und wieder badete der Film in politischen und popkulturellen Anspielungen. Die Story war allerdings, dank der vielen Zeitreisen, eher verwirrend und ärgerlich. Auch weil jedes Problem mit einer weiteren Zeitreise gelöst werden konnte. Das hatte dann schon etwas von ‚und täglich grüßt das Murmeltier‘.
„Apocalypse“ spielt nun, ohne irgendwelche Zeitreisen, 1983 und es ist eine laute, überlange Enttäuschung. Auch ohne die Erwartung, dass ein Finale frühere Handlungsstränge und Entwicklungen abschließt. „Apocalypse“ sieht einfach nur wie eine weitere Episode aus dem „X-Men“-Kosmos aus, in dem all die bekannten Charaktere und einige Neuzugänge gegen einen neuen Gegner kämpfen, während wir mehr oder weniger interessante Neuigkeiten aus ihrem Alltag erfahren. Die X-Men sind Menschen, die aufgrund einer genetischen Veränderung über besondere Fähigkeiten verfügen.
Der Gegner der X-Men ist Apocalypse (Oscar Isaac – verschenkt). Er ist der erste Mutant, war ein ägyptischer Gott und erwacht jetzt (also 1983) wieder. Bis dahin plätschert der Film eine halbe Stunde vor sich hin. Die Zeit vergeht, indem in epischer Breite die verschiedenen, aus den vorherigen Filmen und Comics bekannten X-Men vorgestellt werden. Das ist nicht so wahnsinnig interessant, weil diese Vorstellungen oft so kryptisch sind, dass nur die Fans und Kenner des X-Men-Kosmos sie verstehen.
Nachdem Apocalypse wieder von den Toten auferstanden ist, ist das zu lang geratene Vorspiel vorbei und die richtige Geschichte könnte endlich beginnen. Aber auch danach wird der Film nicht interessanter. Von Spannung will man in diesem Zusammenhang nicht reden. Weitere Mutanten werden vorgestellt, es wird geredet, es gibt Einblicke in den Alltag von Charles Xavier/Professor X (James McAvoy) und seiner Schule für Mutanten, die vielleicht in den nächsten Filmen eine größere Rolle(n) spielen dürfen, und Eric Lensherr/Magneto (Michael Fassbender) darf etwas proletarischen Ostblockcharme versprühen, bis er einen Unfall verhindert und, nun, sagen wir es so: die Kommunisten sind nicht begeistert, dass unter ihnen ein Mutant lebt, der den Magnetismus beherrscht. Es gibt auch eine groteske in Ostberlin spielende Szene, die nichts mit der Wirklichkeit, aber viel mit einem der damaligen B-Actionfilme, in denen Gewalt Hirn ersetzte, zu tun hat.
Diese eindimensionalen Filme scheinen auch für „Apocalyse“ die Referenz gewesen zu sein. Aber die alten Actionkloppereien hatten wenigstens einen klaren Helden, einen ebenso klaren Bösewicht, eine klare Handlung und eine klare Botschaft. In „X-Men: Apocalypse“ ist davon nichts zu spüren. Der Bösewicht wird zu einer Nebenfigur, die Helden treten sich gegenseitig, ohne eine wirklich erkennbare Ordnung von Haupt- und Nebenfiguren auf die Füße, weil sie alle Hauptfiguren sind, die von Filmstars gespielt werden und die alle keinen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen. Entsprechend rudimentär ist die erstaunlich lustlos präsentierte Geschichte, die selbstverständlich in einer Städte zerstörenden Schlacht der Mutanten endet, weil Größe ja bekanntlich wichtig ist.
Zum Glück geht der Wiederaufbau dank Mutantenkräfte auch schneller als in der Realität. Bis dann, in einigen Jahren, beim nächsten Mutantenstadl, wieder kräftig alles zerstört wird, was in Reichweite der Jungs und Mädels mit den besonderen Fähigkeiten ist.
X-Men: Apocalypse (X-Men: Apocalypse, USA 2016)
Regie: Bryan Singer
Drehbuch: Simon Kinberg (nach einer Geschichte von Bryan Singer, Simon Kinberg, Michael Dougherty und Dan Harris)
mit James McAvoy, Michael Fassbender, Jennifer Lawrence, Nicholas Hoult, Oscar Isaac, Rose Byrne, Evan Peters, Josh Helman, Sophie Turner, Tye Sheridan, Lucas Till, Kodi Smit-McPhee, Ben Hardy, Alexandra Shipp, Lana Condor, Olivia Munn, Zeljko Ivanek, Hugh Jackman, Stan Lee
Im Kino ging, nachdem die erste Gillian-Flynn-Verfilmung „Gone Girl“ ein Publikums- und Kritikerhit war, „Dark Places – Gefährliche Erinnerung“, die prominent besetzte Verfilmung ihres zweiten Romans, unter. Dabei klingt die Story ähnlich vielversprechend.
1985 werden die Mutter und die beiden Schwestern von Libby Day ermordet. Die Achtjährige beschuldigt ihren Bruder Ben und dieser, damals ein bekennender Satanist, wird verurteilt.
Dreißig Jahre später hadert Libby (Charlize Theron) immer noch mit diesem Ereignis und sie lebt, auch und vor allem finanziell, davon. Von einem Club, in dem Privatleute ungeklärte Verbrechen nachermitteln, erhält sie das Angebot, dort über ihre Familiengeschichte zu reden. Weil sie das Geld braucht, nimmt sie das Angebot an.
Die Clubmitglieder präsentieren ihr ihre verschiedenen, mehr oder weniger abstrusen Theorien. Es gibt nämlich offensichtliche Widersprüche und sie sind überzeugt, dass der falsche Mann im Gefängnis sitzt.
Lbby erklärt sich – natürlich für Geld – bereit, dem Club zu helfen und dafür tief in ihrer Vergangenheit zu stöbern. Dabei entdeckt sie einiges.
Na, das klingt doch nicht schlecht.
Allerdings ist Gilles Pacquet-Brenner („Sarahs Schlüssel“) kein David Fincher und, nun, „Dark Places“ ist nicht „Gone Girl“. „Gone Girl“ erzählt aus, im Roman und im Film, zwei Perspektiven, die konsequent durchgehalten und klar getrennt sind, eine bitterböse Noir-Geschichte.
„Dark Places“ bedient sich einer ähnlichen Konstruktion. Im Film allerdings deutlich weniger gelungen. Er erzählt, vom Roman übernommen, die Geschichte auf zwei Ebenen. In der Gegenwart erzählt er eine ganz normale Detektivgeschichte, in der Libby Day einfach der Reihe nach die verschiedenen Beteiligten der damaligen Ereignisse befragt bis sie die ganze Wahrheit über die Mordnacht erfährt. Naja, fast. Denn wir als Zuschauer wissen mehr. In der Vergangenheit werden die damaligen Ereignisse nacherzählt. Diese Blicke in die Vergangenheit werden eher willkürlich über den Film gestreut. Sie erzählen chronologisch die Vorgeschichte das Mehrfachmordes und enthüllen dann am Ende die wahren Ereignisse der Tatnacht. Dieser Teil ist durchaus spannend, weil wir wissen wollen, wie es zu dem Mehrfachmord kam. Allerdings sind diese Rückblenden konsequent aus einer objektiven Perspektive erzählt. Das heißt, wir erfahren bis zum Ende Dinge, die weder Libby noch die von ihr Befragten wissen können. Und wenn doch, würden sie sie ihr niemals verraten. Aber irgendwann agiert Libby so, als wüsste sie diese Dinge auch. Obwohl sie sie, wie gesagt, nicht wissen kann und damit der ganzen Geschichte ein Glaubwürdigkeitsproblem beschert.
Dazu kommt, dass in den 1985 spielenden Teilen das Arme-Leute-Milieu und die jugendliche Satanistenclique, in der Ben ist, arg platt gezeichnet werden, dass in der Gegenwart aus dem „Kill Club“-Club kein erzählerisches Potential geschöpft wird, dass bei der Besetzung bei den Charakteren, die 1985 und 2015 auftreten, kein glückliches Händchen bewiesen wurde (die TV-Serie „Cold Case“ zeigt einfach, wie es besser geht) und dass die namhafte Besetzung größtenteils verschenkt ist in einer altbackenen Mörder-such-Geschichte mit einer angeklatschen Moral, die eine bessere Filmgeschichte verdient hätte.
Am Ende ist „Dark Places“ nur ein unnötig kompliziert erzählter, gut besetzter 08/15-Kriminalfilm.
Das Bonusmaterial besteht aus den Trailern und fünfundzwanzig Minuten Interviews mit Regisseur Gilles Paquet-Brenner, Autorin Gillian Flynn (das sind die interessanteren Interviews) Christina Hendricks und Nicholas Hoult.
Dark Places – Gefährliche Erinnerung (Dark Places, USA/Frankreich 2015)
Regie: Gilles Paquet-Brenner
Drehbuch: Gilles Paquet-Brenner
LV: Gillian Flynn: Dark Places, 2009 (Finstere Orte, später Dark Places – Gefährliche Erinnerung)
mit Charlize Theron, Sterling Jerins, Nicholas Hoult, Christina Hendricks, Corey Stoll, Tye Sheridan, Andrea Roth, Chloë Grace Moretz, Sean Bridger
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DVD
Concorde
Bild: 2,35:1 (16:9)
Ton: Deutsch (DD 5.1/ DTS 5.1), Englisch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Bonus: Deutscher und Original Trailer, Interviews
Länge: 109 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
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Die Vorlage
Gillian Flynn: Dark Places – Gefährliche Erinnerung
Am Ende von „Mad Max: Fury Road“ fühlt man sich wie bei dem Konzert von einer Kultband, die sich nach dreißig Jahren wieder vereinigt, und, als sei kein Tag vergangen, ihre alten Hits spielt. Nur in einer viel größeren Halle und aufgepeppt durch eine Bläsersektion und einen Frauenchor. Beides vermisste man früher nicht, als die Band rohen Punkrock oder, was bei „Mad Max“ passender ist, trashigen Heavy Metal spielte und die Musiker das Bildungsbürgertum mit ihrem schlechten Benehmen, den hässlichen Kleidern und der schonungslosen Gewaltverherrlichung schockierte.
Auch in dem neuen „Mad Max“-Film sind alle Elemente, die man aus den früheren „Mad Max“-Filmen kennt, frisch poliert und entstaubt, vorhanden. Und doch stimmt nichts. Das beginnt schon mit den Bildern. Sie sind alle eine Spur zu brillant. Genau wie bei einer CD, der das wohlige Rauschen einer LP oder, noch schlimmer, einer Musikkassette fehlt. Die Schauspieler sehen zu gut aus. Zu sehr nach Hollywood, zu wenig nach Nachbarschaft und jahrelangem Überleben in einer postapokalyptischen Welt. Auch die Autos haben keine Beulen und keine Schrammen. Jedenfalls keine, die durch das Leben auf dem Schrottplatz und in der Wüste entstehen. Und es endet bei der zusammenhanglosen Story, die nur noch eine weitgehend beliebige Aneinanderreihung von durchaus beeindruckenden, angenehm nachvollziehbaren und weitgehend handgemachten Actionszenen ist.
Früher war Mad Max (gespielt von Mel Gibson in der Rolle, die ihn zum Weltstar machte) ein Einzelgänger, der nur an sich dachte. Im ersten „Mad Max“-Film „Mad Max“ (1978) verlor er zwar seine Familie und er jagte die Täter, aber stilbildend für alle postapokalyptischen 80er-Jahre-Science-Fiction-Filme war der zweite „Mad Max“-Film „Mad Max II – Der Vollstrecker“ (1981), der in einer Wüstenwelt spielt, in der jeder ums Überleben kämpft, Benzin Gold ist und jeder gegen jeden kämpft. Für eine Tankfüllung will Mad Max einigen Zivilisten gegen eine Gruppe Belagerer helfen. Es gibt eine wahnsinnige Schlacht mit vielen Toten und geschrotteten Autos. Der dritte „Mad Max“-Film „Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel“ (1985) erzählt die gleiche Geschichte noch einmal, mit einem größeren Budget (was halt noch mehr Action und noch mehr Freakshow bedeutet), Tina Turner als Bösewicht, ihrem Hit „We don’t need another hero“ (Kennt den noch jemand?) und einer Schar Kinder; was bei den Fans nicht besonders gut ankam.
In „Mad Max: Fury Road“ bleibt George Miller bei dem erprobten Rezept. Außer dass er die Kinder durch eine Handvoll spärlich bekleidete, verdammt gut aussehende, makellos geschminkte Frauen, die „Fünf Frauen“, ersetzte. Imperator Furiosa (Charlize Theron) will sie vor Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne), einer nur optisch beeindruckenden Mischung aus Diktator und Sektenführer, retten.
Mit ihnen flüchtet Furiosa in ihrem LKW aus der Zitadelle in die Wüste. Ihr Ziel: die grüne Oase, in der sie aufwuchs. Max Rockatansky (Tom Hardy), der in der Zitadelle gefangen war und jetzt auf eines der Verfolger-Autos geschnallt wurde, kann sich irgendwann befreien und gemeinsam flüchten sie vor ihren Verfolgern, was George Miller die Gelegenheit gibt, in der Wüste ganz viele Autounfälle mit anschließenden Explosionen (die oft verdammt künstlich aussehen) zu inszenieren. Das sieht dann schon spektakulär aus, langweilt aber schnell als fast zweistündige immergleiche Minimalvariation von Krach-Rumms-Bumms. Diese Action mit den austauschbaren Verfolgern verläuft auch überraschend unblutig.
Dazwischen wird Max immer wieder von Erinnerungen an seine Familie und Alpträumen gequält. Diese Flashbacks, die unserem Helden eine Vergangenheit geben sollen, sind vollkommen überflüssig und werden schon im Film zum ärgerlichen Klischee. Gleichzeitig führt diese vulgärpsychologische Vertiefung den Charakter in das Dilemma, dass er gleichzeitig ein skrupelloser, nur an seinem Überleben interessierter Tatmensch und eine gequälte, zur Tatenlosigkeit verdammte Seele sein soll. Außerdem wird aus dem nur an sich interessiertem Charakter, einem Einzelgänger, Überlebenskünstler, und Zyniker, dem archetypischen Fremden ohne Namen, im dritten Akt von „Mad Max: Fury Road“ plötzlich ein Altruist, der ohne einen ersichtlichen Grund, in bester „Mein großer Freund Shane“-Tradition, den Frauen, die ganz gut ohne ihn zurecht kommen, hilft. Für Gottes Lohn und ohne sein Auto.
Spätestens in diesem Moment und bei dem ziemlich schwachen Ende wird überdeutlich, dass die Macher den Film ohne ein Drehbuch, aber mit einem Skizzenbuch voller Actionszenen begannen. Mehrere plötzlich abbrechende Actionszenen und zahlreiche unmotivierte Schwarzblenden verstärken den Eindruck, dass „Mad Max: Fury Road“ einfach nur eine unglaubliche Menge Autocrashs aneinanderreiht, während eine Armada austauschbarer Pappkameraden, die aus einem Heavy-Metal-Freakshow entsprungen sind, ab und an durch das Bild fährt.
Zwei Stunden dauert diese sich fast ohne Pausen auf Action konzentrierende Enttäuschung, die auch nie eine Verbindung zur Gegenwart aufbaut. Denn natürlich knüpften die „Mad Max“-Filme und seine zahlreichen Kopien, die in den Achtzigern die Kinos überschwemmten, an eine in der Gesellschaft vorhandene Weltuntergangsstimmung zwischen Atomkrieg, Ölkrise und Waldsterben an.
Damit wird die Gewaltverherrlichung und der Zynismus der früheren „Mad Max“-Filme in „Mad Max: Fury Road“ zu einem Puppentheater. Eine Vaudeville-Freakshow. In der all die Bewegung nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass dem Film die Seele, ein emotionales Zentrum, und ein erinnerungswürdiger Bösewicht, ein echter Antagonist für Max und Imperator Furiosa, fehlt. Mit diesen beiden Zutaten hätte „Mad Max: Fury Road“ ein grandioser Actionfilm werden können. So ist es nur eine zweistündige Leistungsschau der Stuntmänner, der Kameraleute und der CGI-Leute.
Großes Familientreffen im „X-Men“-Kosmos: in der nahen Zukunft, die mächtig an die ersten Minuten von James Camerons „Terminator“ erinnert, kämpfen die letzten Mutanten gegen die Sentinel, mächtige sechs Meter große Roboter, die sie reihenweise umbringen. Ihre letzte Chance ist, in der Zeit zurückzuspringen und diese für Mutanten extrem ungastliche Zukunft zu korrigieren. Zum Glück kennen die X-Men das auslösende Ereignis für das ihr Überleben bedrohende Sentinel-Programm. 1973 tötete Raven Darkholme, aka Mystique (bzw., wer Lücken in seinem „X-Men“-Wissen hat: das blaue Wesen, das ständig ihr Aussehen ändern kann), Dr. Bolivar Trask, der die Mutanten als Bedrohung für die Menschheit ansah. Bei der US-Regierung warb der Unternehmer um Geld für ein entsprechendes Forschungsprogramm. Nach seinem Tod – immerhin wurde er von einer Mutantin ermordet – wurde das Geld bewilligt.
Die einzige Person, die den Zeitsprung überleben kann, ist Logan, aka der unsterbliche Wolverine, dessen Zellen sich wahnsinnig schnell regenerieren. Er springt zurück und versucht Professor Charles Xavier, den Gründer der X-Men, zu überzeugen, zusammen mit seinem Erzfeind Erik Lehnsherr, aka Magneto, gegen die Bedrohung für ihr Überleben zu kämpfen. Es gibt nur zwei Probleme: Professor X gefällt sich drogenkonsumierend im Selbstmitleid und Magneto sitzt als John-F.-Kennedy-Attentäter, in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Und in den folgenden Minuten sehen wir in der nahen Zukunft die X-Men aus den ersten drei „X-Men“-Filmen, also Patrick Stewart, Ian McKellen, Halle Berry und Hugh Jackman, plus einige vernachlässigbare Cameos und Neuzugänge, und in der schön stylischen Siebziger-Jahre-Vergangenheit die X-Men aus dem vorherigem „X-Men“-Film „Erste Entscheidung“, also James McAvoy, Michael Fassbender, Jennifer Lawrence und Nicholas Hoult, gegen böswillige Menschen kämpfen.
Inszeniert wurde die Geschichte von Bryan Singer, der die ersten beiden „X-Men“-Filme inszenierte. Brett Ratner inszenierte den dritten „X-Men: Der letzte Widerstand“, der allgemein wenig gemocht wird. Den grandiosen Neustart „X-Men: Erste Entscheidung“ inszenierte „Kick-Ass“-Regisseur Matthew Vaughn, der seinen Film in eine alternative Zeitlinie verlegte, weshalb er dann auch die Dinge, die ihn bei den vorherigen „X-Men“-Filmen störten, ignorieren konnten und mit seiner alternativen Interpretation der Kuba-Krise lieferte er, auch dank des überzeugenden Bösewichts Sebastian Shaw (Kevin Bacon), einen tollen Film ab, der natürlich die Erwartungen für den fünften „X-Men“-Film steigerte.
Allerdings funktioniert in „Zukunft ist Vergangenheit“ die gesamte Geschichte nicht mehr. Denn durch das Spiel mit alternativen Zeitlinien und Zeitreisen ist alles egal, weil letztendlich jeder Fehler berichtigt werden kann. Damit hat nichs endgültige Konsequenzen. So hat Magneto, der am Ende von „Der letzte Widerstand“ seiner Mutantenkräfte beraubt wurde, diese wieder – oder, immerhin sind wir ja schon in einer alternativen Zeitlinie, diese immer noch. Professor Xavier ist wieder lebendig, obwohl er in „Der letzte Widerstand“ starb (jaja, nach dem Abspann gab es eine Szene, die schon auf sein Überleben hindeutete). Aber vielleicht hat in der Zeitlinie, in der „Zukunft ist Vergangenheit“ spielt, „Der letzte Widerstand“ einfach nicht stattgefunden. Und als wir den jüngeren Professor zum ersten Mal in „Zukunft ist Vergangenheit“ sehen, kann er gehen, weshalb wir zunächst vermuten, dass auch die zehn Jahre früher spielende „Erste Entscheidung“ nicht oder anders stattfand.
Denn jetzt kann im „X-Men“-Kosmos alles korrigiert werden. Wenn nicht beim ersten Mal, dann beim zweiten oder dritten Versuch. Damit hat aber auch keine Tat mehr endgültige Konsequenzen. Kein Tod ist endgültig. Entsprechend spannungslos plätschert der Film vor sich hin. Denn warum soll ich mein Taschentuch zücken, wenn der Tote in wenigen Minuten wieder quicklebendig durch das Bild läuft?
Da hilft auch nicht die Größe, mit der die Shakespeare-Minen Patrick Stewart und Ian McKellen den größten Unfug todernst deklamieren, als seien sie gerade bei „Sein oder Nichtsein“; – was natürlich besonders in der Originalfassung spaßig ist.
Sowieso gibt es, wie auch bei den vorherigen „X-Men“-Filmen an der Besetzung nichts zu mäkeln. Es zahlt sich halt aus, wenn echte Schauspieler engagiert werden.
Der sechste „X-Men“-Film ist schon angekündigt. Derzeit heißt er „Apocalypse“, er soll Ende Mai 2016 starten und in den Achtzigern spielen. Dann erfahren wir sicher, wie der Kalte Krieg beendet wurde.
X-Men: Zukunft ist Vergangenheit (X-Men: Days of Future Past, USA 2014)
Regie: Bryan Singer
Drehbuch: Simon Kinberg (nach einer Geschichte von Jane Goldman, Simon Kinberg und Matthew Vaughn)
LV (inspiriert): Chris Claremont, John Byrne: The Uncanny X-Men: Days of Future Past, 1981
mit Hugh Jackman, Michael Fassbender, Jennifer Lawrence, James McAvoy, Patrick Stewart, Ian McKellen, Halle Berry, Ellen Page, Nicholas Hoult, Anna Paquin, Peter Dinklage, Shawn Ashmore, Omar Sy, Evan Peters, Josh Helman
Länge: 132 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
– Hinweise Amerikanische Homepage zum Film Deutsche Homepage zum Film Film-Zeit über „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ Moviepilot über „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ Metacritic über „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ Rotten Tomatoes über „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“
Wikipedia über „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ (deutsch, englisch)
– Die „X-Men“-Filme
X-Men (X-Men – Der Film, USA 2000, Regie: Bryan Singer, Drehbuch: David Hayter)
X-Men 2 (X-Men 2, USA 2003, Regie: Bryan Singer, Drehbuch: Michael Dougherty, Dan Harris, David Hayter)
X-Men: The last Stand (X-Men – Der letzte Widerstand, USA 2006, Regie: Brett Ratner, Drehbuch: Simon Kinberg, Zak Penn)
X-Men: First Class (X-Men: Erste Entscheidung, USA 2011, Regie: Matthew Vaughn, Drehbuch: Ashley Miller, Zack Stentz, Jane Goldman, Matthew Vaughn)